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Archiv-Artikel

Eine Dame im besten Sinne

Kirsten Harms, seit September neue Intendantin der Deutschen Oper Berlin, hat keine leichte Aufgabe. Es gilt, einem Hort altbundesrepublikanischer Gediegenheit frischen Geist einzuhauchen. Pläne hat sie viele, dass sie gelingen, ist wahrscheinlich

VON CHRISTIANE TEWINKEL

Kirsten Harms ist eine Dame, und zwar im besten Sinne. Wenn Frau Harms durch ihr großes Haus geht, umweht sie die Freundlichkeit einer Nixe, kühl, hell und schön. Sie öffnet die Fenster, wirft hier eine Plastikpflanze weg, wählt dort ein anderes Mobiliar, denkt über eine neue Bewirtung nach, plant, vor der Tür einen Garten anzulegen. Das alles gilt nicht nur im übertragenen Sinn. Kirsten Harms rangiert tatsächlich alte Gewächse und blinde Bildschirme aus. Wenn die Schönheitsreparaturen abgeschlossen sind, wird ihr Haus glänzen wie schon lange nicht mehr.

Seit Anfang September ist Kirsten Harms Intendantin der Deutschen Oper Berlin. Sie hat eine schwierige Stelle angetreten. In der letzten Zeit funktionierte die Deutsche Oper nur so vor sich hin. Der vorletzte Intendant war viel zu lange geblieben, der letzte ging vorzeitig und im Streit. Der Generalmusikdirektor ist nach München abgewandert.

An die Neueinrichtung der Ost-West-Koordinaten nach der Wende mussten sich alle drei Opernhäuser Berlins gewöhnen, doch die Deutsche Oper, so scheint es, hat sich damit besonders schwer getan. Einst lag sie im Herzen des Westens, heute liegt sie nur noch weitab von der Pracht- und Touristenmeile Unter den Linden, wo die Staatsoper und die Komische Oper stehen. Noch vor Monaten konnte, wer die Deutsche Oper besuchte, tief eintauchen in altbundesrepublikanische Gediegenheit: dunkelgrauer Beton, Vertäfelungen, kunstvoll belegte Schnittchen in den Pausen zwischen den Akten.

Doch wo anfangen?

Es gilt also, das Haus ins Licht zu setzen, es von neuem zu einem Ort zu machen, der für Künstler und Publikum anziehend ist. Immerhin ist die Deutsche Oper auch das größte der drei Berliner Häuser und mit den Heerscharen von Charlottenburger Bürgern, die sich ihre Spielstätte um die Jahrhundertwende selbst gründeten, auch eines der in besonderer Weise lokal abgesicherten. Aber wo anfangen, wenn nun der Rest der Welt wieder gern hereinspazieren soll? Beim gediegenen Dunkelgrau? Oder doch: bei der Kunst?

Im Moment hat Kirsten Harms gar keine Wahl. Die Entscheidungen für die Produktionen der eben angelaufenen Saison haben ihre Vorgänger längst getroffen. Erst ab der Spielzeit 2005/06 wird sie selbst künstlerisch-konzeptionell arbeiten können. Bis dahin erhält sie zwar Einblick in die Inszenierungsarbeit an ihrem Haus, kann vielleicht auch im Gespräch leisen Einfluss nehmen oder doch zumindest professionelle Rückmeldung geben. Aber vorerst ist Kirsten Harms gezwungen, die Weichenstellung für eine große Neuorientierung nur vorzubereiten und derweil das Augenmerk auf Logistisches zu richten.

Sie möchte eine Umgebung schaffen, die „das berühmte Verstaubte“ von sich abschüttelt – und wenn weiter oben davon die Rede war, dass sie Ordnung schafft, so ist das ein schönes Bild fürs allumfassende Ganze, aber doch eben auch im Kleinen wahr. Warum nicht Sushi essen in der Opernpause? Wie lässt sich die Aura des 1961 von Fritz Bornemann gebauten Hauses tatsächlich als „hip“ vermarkten? Sollte es die Treue zum Werk, wie es einstmals konzipiert war, nicht auch in der Innenarchitektur geben? Warum nicht im Foyer eine Kunstbuchhandlung eröffnen?

Kirsten Harms hat viele Pläne, und erwartbar scheint, dass derselbe kühl-erfrischende, dabei doch vernünftige Feng-Shui-Wind, der derzeit durch die Deutsche Oper geht, auch in der künstlerischen Ausrichtung spürbar werden wird.

Die 1956 Geborene hat Musiktheaterregie und Musikwissenschaft studiert und schon als Mittzwanzigerin inszeniert. Zuletzt war sie Intendantin in Kiel, wo es ihr gelang, mit Ausgrabungen unbekannter Werke und werktreu-gedankenreichen Neuinszenierungen berühmter Opern überregionales Aufsehen zu erregen und das Haus auch finanziell und personaltechnisch hervorragend zu führen – Beweise womöglich, dass das Musiktheater sich auch ohne primitive Anbiederung oder Stargetöse fest im Kulturleben verankern lässt; wie überhaupt sich Kirsten Harms auf Zweifel an der Gültigkeit der Kunstform „Oper“ und ihrer Attraktivität für Jüngere gar nicht erst einlässt: „Die Oper ist stets Ort der geistigen Auseinandersetzung, des emotionalen Erlebnisses gewesen. Wenn das gut gemacht ist, funktioniert es für alle Altersstufen.“

Die Kunst des Erzählens

Sie wird sich weder auf das „selbstverliebte dekonstruktivistische Theater“ einlassen noch darauf, große Namen allein wegen des großen Namens zu verpflichten. Auch eine Regie, die nichts will, „als die eigenen Eltern zu ärgern“, ist Harms’ Sache nicht: „Es geht um die Kunst des Geschichtenerzählens.“

Dieses Geschichtenerzählen ist mittlerweile fast zu einem Tabu auf der Bühne geworden. Zugänglichkeit und Durchsichtigkeit werden schnell mit Anbiederung und Naivität verwechselt, der Gebrauch verfolgbarer Strukturen wird oft als sträfliche Arglosigkeit der Gebrochenheit der Welt gegenüber verurteilt. Kirsten Harms weiß die Kieler Erfolge hinter sich und wird ihre eigene Regiehandschrift unbeirrt nach Berlin bringen. Zwei der sechs Produktionen in der kommenden Saison 2006/07 sollen ältere „Raritäten“ sein, zeitgenössische Stücke werden gegenwärtig „laufend geprüft“: „Wie interessant ist die Musik? Wie theatralisch ist die Geschichte gebaut?“ Nicht immer genügen die Werke ihren Ansprüchen.

Weil Kirsten Harms 2003 selbst an der Deutschen Oper inszeniert hat, kennt sie viele ihrer über fünfhundert Mitarbeiter bereits. Mit allen führt sie derzeit Gespräche, lernt kennen, informiert, freut sich über den kollektiven Mut zum Aufbruch. Merkt sie bei all dem, dass sie eine Frau ist, der Männer gern einmal Steine in den Weg legen könnten? „Nein. Nie.“ Es klingt echt. Kirsten Harms lächelt. Sie weiß ganz genau, wo es langgeht, wie sie aussehen und wirken, in welcher Form sie mit wem umgehen möchte.

Vielleicht ist es gerade die altmodisch weibliche Tugend, ganz genau hinzuhören und hinzuschauen, scharf zu sehen, wer ihr im Hause und in der Stadt gegenübersitzt, die sie für Kunst- und Führungsaufgaben gleichermaßen prädestiniert.