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Archiv-Artikel

Vom Traum zur Erkenntnis

Die Deutung der Geheimnisse der Seele: Das Metropolis zeigt wie schon im vergangenen Herbst eine Traumfilmreihe

Manche halten die Psychoanalyse für die größte Errungenschaft, manche für die größte Scharlatanerie des vergangenen Jahrhunderts. Doch eines müssen auch Gegner akzeptieren: Ideen wie die Traumdeutung haben sich im Denken und Schaffen vieler Künstler und Filmemacher niedergeschlagen.

Klares Beispiel dafür: Georg Wilhelm Papsts Geheimnisse einer Seele (1926). Der Stummfilm kündigt sich im Vorspann als „psychoanalytisches Kammerspiel“ an, nach der Lehre des „Universitäts-Professors Dr. Freud“. Papst schildert den Fall eines Chemikers, dessen Scham über seine Kinderlosigkeit ihn in Angstzustände stürzt. Dass dem so ist, kommt in der Analyse durch einen freundlichen Doktor zu Tage. Ergebnis des filmischen Durcharbeitens ist natürlich eine glückliche Kleinfamilie.

Bald wurde das Traummodell zum beliebten Deutungsrahmen für Filme aller Art. Die These von der halb zensierten Wunscherfüllung bietet eine Erklärung für assoziative Bildverkettung, visuelle Symbolik oder Hollywood-Starkult. Erkauft werden solche Einsichten mit dem Preis jeder Theorie: Bei der Interpretation kommt immer dasselbe heraus. Oft kommt es auf die Entschlüsselung der Symbole gar nicht an.

Akira Kurosawas Träume (1990) nach versteckten Bedeutungen aufzudröseln wäre müßig. Traumartige Phantastik ist hier Ausdrucksmittel. Sie folgt nicht dem Gesetz des Unterbewussten, sondern der etwas naiven Öko-Moral des alten Kurosawa. Er wusste sie aber prächtig in Szene zu setzen. In der Episode „Der Pfirsichgarten“ tanzen die Geister gefällter Bäume ein unvergessliches Trauerballett. Geschichtskritisch dagegen die Spuk-Parabel vom überlebenden Kommandanten, dem die Geister seiner gefallenen Kompanie hinterhermarschieren.

Von Japan handelt auch Chris Markers Sans Soleil (1982). Der Essayfilm ist eine ausufernde Reflexion der Eingewobenheit der Wahrnehmung in Erinnerung und kulturelles Wissen. Eine Off-Stimme zitiert aus Briefen eines fiktiven Freunds. Die Kamera filmt bizarre japanische Bräuche und zeigt Blicke afrikanischer Frauen aus Guinea-Bissau. Um einen Traumfilm handelt es sich nicht, sondern um experimentelle Ethnographie, und diese dokumentarische Haltung unterscheidet sich vom Träumen wie der Tag von der Nacht.

Doch andererseits zerfließt der Kommentar in Sprüngen, Poesie und privaten Erinnerungen. So öffnet er mitten im wachen Erkennen dem Unbewussten das Tor. Sans Soleil ist ein Essay in Adornos Sinn. Er will erkennen und nimmt dabei die Bruchstellen der diskursiven Erkenntnis ins eigene Verfahren auf, statt sich wie die Wissenschaft gegen das „Nicht-Identische“ zu imprägnieren. So erreicht er eine höhere Erkenntnis: Die Nacht gehört zum Tag. Jakob Hesler

Sans Soleil, heute, 21.15 Uhr, morgen, 17 Uhr; Geheimnisse einer Seele, 9.11., 19 Uhr; Kurosawas Träume, 11.11. + 17.11, 21.15 Uhr, 13.11., 17 Uhr, 15.11., 22 Uhr; weitere Filme der Reihe: Barton Fink, 25.11., 21.15 Uhr; The Wizard Of Oz, 26.11., 21.15 Uhr; Metropolis