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Archiv-Artikel

„Irrgarten Bremer Schulpolitik“

Brechend voll war es, als GEW, ZEB und GSV zur Protestversammlung gegen die Schulreform riefen. Ein Grummeln ging durch den Saal, als eine Lehrerin der Helene-Lange-Schule meinte, sie würde ihr Kind nicht auf eine Bremer Gesamtschule schicken

Bremen taz ■ „Warum soll es denn keine Noten in der Grundschule geben? Ab wann soll an unseren Schulen denn selektioniert werden?“, fragte ein Elternvertreter hilflos in die Menge. „Das heißt selektiert“, rief ein Lehrer und: „Es soll gar keine Noten geben!“ „Pfui!“

Die Wogen im großen Saal des Konsul-Hackfeld-Hauses gingen am Montagabend hoch. Etwa dreihundert erboste Lehrer und Eltern sowie zwei Schüler waren gekommen, um ihren Ärger über das geplante Schulgesetz loszuwerden. Titel: „Irrgarten Bremer Schulpolitik“. Eingeladen hatten die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, der Zentralelternbeirat und die GesamtschülerInnenvertretung (GSV).

Empört waren Lehrer und Eltern vor allem darüber, dass künftig bereits nach der 4. Klasse entschieden werden soll, welche weiterführende Schule der Nachwuchs besuchen wird: eine Gesamtschule, ein Gymnasium oder die neu geschaffene „Sekundarschule“ (integrierte Haupt- und Realschule). Statt möglichst lange gemeinsam zu lernen, würden die Kinder in Gymnasium und „Restschule“ aufgeteilt: „Integration von Schülern heißt doch nicht, dass die Leistungsstarken ihren Weg gehen und der Rest integriert sich in Haupt- und Realschule“, schimpfte Anne Wolff, Elternsprecherin an der Grundschule Stader Straße.

Besonders dramatisch fanden Lehrer und Eltern, dass es später kaum mehr Möglichkeiten gebe, von der Sekundar- oder Gesamtschule aufs Gymnasium zu wechseln. „Wo ist denn dieses System noch durchlässig?“ fragte ein erboster Vater.

„Der Übergang von der vierten in die fünfte Klasse wird darüber entscheiden, welchen Schulabschluss Ihr Kind macht, welchen Job Ihr Kind bekommt und wieviel Rente es einmal kriegen wird“, malte Lea Voigt von der GSV eine trübe Zukunft. Im Februar 2004, also noch vor der geplanten Verabschiedung des Gesetzes im April, müssen die Eltern von Viertklässlern entscheiden, welchen Bildungsweg ihr Kind in dem neuen System nehmen soll.

Eine fand sich dann aber doch, die eine Lanze für das Gesetz brechen mochte – zumindest für einzelne Punkte des Entwurfs: Enja Riegel, Lehrerin an der Helene-Lange-Schule in Wiesbaden und Mitglied am Bremer „Runden Tisch Bildung“. Sie stellte klar: „Auf eine Gesamtschule in Bremen, wie sie jetzt ist, würde ich mein Kind auch nicht schicken! Vergessen Sie mal nicht, wie schlecht Sie bei PISA abgeschnitten haben!“ Man könne nicht einfach so weiterwurschteln wie bisher: „Die geplante Sekundarschule ist doch zum Beispiel ein Riesenfortschritt. Bremen ist jetzt das einzige Bundesland, in dem es keine gesonderte Hauptschule mehr gibt.“

Sie konnte damit aber die GSV-Vertrer nicht überzeugen – die GSV will „das Schulgesetz in die Tonne treten“, und zwar auf einer Demonstration am 10. Dezember. Auch Eltern und Lehrer fanden sich am Ende der Veranstaltung zusammen, um über Protestaktionen zu beraten.

Nicht jeder hatte am Ende des Abends seinen Weg aus dem „Irrgarten“ gefunden: Etwas unglücklich ging ein Vater mit Glatze und Pullunder nach Hause: „Ich hatte vorher keine Ahnung von dem Schulgesetz. Und ich habe immer noch keine.“ Er hat noch drei Jahre Zeit – seine Tochter wurde gerade eingeschult.

Dorothee Siegle