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Archiv-Artikel

JENNI ZYLKA über PEST & CHOLERA Immer schön sauber bleiben

Die große Zeit der Firma Viag Interkom ist längst vorbei. Ihr unheimlicher Warteschleifen-Slogan wird überdauern

Mein erstes Handy war ein vierschrötiges, dickes Gerät, einem Feldtelefon gleich, das die ganze Handtasche mitwackeln ließ, wenn ich den Vibra-Alarm eingestellt hatte. Meinen Vertrag hatte ich mit Viag Interkom abgeschlossen; die heißen jetzt anders, und ich möchte gar nicht wissen, wie, denn am stärksten verbinde ich damit ein Lied, das ich beim stundenlangen Ausharren in den Viag-Servicetelefon-Warteschleifen auswendig lernen musste. Ich denke, es ist an der Zeit, es publik zu machen.

Es ging ungefähr so: Strophe: „Lifestyle / Freestyle / Happiness / das ist für dich der way of life / du siehst gut aus und hast es drauf / wenn du Viag-Interkom-Kunde bist“ (dass das Reimmaß stinkt, war anscheinend Absicht). Dann die Bridge: „Call me baby / around the world / follow the way to …“ (darauf folgte ein viersilbiges englisches Wort, etwa „contraception“ oder „population“). „Mit Viag in eine neue Welt / das ist Viag Interkom Revolutio-on“. Und der Refrain: „Alles ist light and easy / light and ea-sy / alles ist light and easy / light and ea-sy / alles ist light and easy / light and easy mit Viag Interkom!“

Puha. In manchen Nächten, in denen ich mit dem Telefonhörer in der Hand im dunklen Wohnzimmer saß und diesem Song lauschte, überlegte ich, ob das Ganze zu einer Verschwörung gehörte, ob vielleicht submentale Nachrichten in der Musik versteckt waren, ob das sinnentleerte „light and easy“, also „hell und einfach“ ein Code sein könnte, und ob bestimmte Wörter Anagramme waren, zum Beispiel versuchte ich „Viag Interkom light easy“ in „Hey, Live Strom in Ka-Tag“ umzudeuten, oder in „Make Rosy give Li at night“, und wenn ich so gut hätte scrabbeln können wie meine Freunde, dann wäre mir gewiss auch noch Gefährlicheres eingefallen.

Nach einiger Zeit lief jedoch mein Vertrag mit der blöden Firma aus, und ich wechselte zu anderen Halsabschneidern. Jetzt, wo Handys erschreckend üblich sind, kommen mir meine Erfahrungen wie Schauermärchen aus der Vorzeit vor. Handys sind so normal, dass nicht mal mehr meine Mutter zusammenzuckt, wenn im Bus plötzlich die Götterdämmerung losdröhnt oder eine gesampelte Stimme „Geh ran, du Arsch!“ ruft (das habe ich neulich in einem Büro erlebt). Kein Mensch denkt mehr darüber nach, ob sich die Gesellschaft wirklich in eine informierte und eine nicht informierte Gruppe gespalten hat, weil die nicht informierte Gruppe vermutlich längst verschütt gegangen ist und irgendwo außerhalb des Daten-Highways auf einem toten Parkplatz vergammelt.

Wie schnell sich alles ändert! Dabei fällt mir ein, dass sich noch ein gesellschaftlicher Standard stark geändert zu haben scheint: Gibt es eigentlich noch Familien, die nur einmal in der Woche Badetag haben? Mein bester Freund, der aus einer Großfamilie stammt, hat bis in die 70er hinein sonntags im gleichen Wasser wie seine beiden älteren Brüder gebadet (die Mitglieder, das musste ich mir erklären lassen, wurden hygienetechnisch in Geschlecht und nicht in Alter aufgeteilt, ob das fair ist, bleibt eine andere Frage). Klingt es reaktionär, wenn ich sage, dass ich die Vorstellung gar nicht so schlimm finde? Oder klingt es einfach nur unsauber?

Eigentlich ist das Verhalten der Familie meines Freundes anarchistisch für die damalige Zeit. Ich habe nämlich mal in einer 60er-Jahre-Broschüre der Firma Henkel eine Geschichte gelesen, in der eine junge Mutti den Tag damit verbringt, mit ungefähr siebenundzwanzig verschiedenen Henkel-Produkten sich, die Wohnung und das Baby abzuschrubben. Alles wegen der damals noch ganz neuen Vokabel „Hygiene“. Am Ende sehen sogar die konservativen Schwiegereltern ein, dass die moderne „Hygiene“ die „Sauberkeit“ um Längen toppt, und der schmerbauchige Opa lässt sich zu einem selbst gedichteten Loblied hinreißen: „Und damit das gut gelingt / Eltern, achtet unbedingt / darauf dass von Kopp bis Beene / angewandt wird: Hygiene! Von der Oma bis zum Enkel / alle putzen nur mit Henkel“. Und jetzt wird mir auch klar, wer den Viag-Song gedichtet hat. Also doch eine Verschwörung!

Fotohinweis: JENNI ZYLKA PEST & CHOLERA Fragen zur Hygiene? kolumne@taz.de Morgen: Josef Winkler ZEITSCHLEIFE