„Die Doktrin vom Präventivschlagist praktisch tot“, sagt Herr Eland

Bush muss lernen: Die US-Amerikaner wollen sich lieber nicht in die Angelegenheiten anderer Staaten einmischen

taz: Herr Ivan Eland, ist Bushs „außenpolitische Revolution“ vorbei, bevor sie richtig begonnen hat?

Ivan Eland: Ich glaube ja. Bush begreift, dass die USA weder mit dem Iran noch Nordkorea oder Syrien so wie mit dem Irak verfahren können. Wir haben dort alle Hände voll zu tun. Selbst wenn sich die Bush-Regierung noch nicht wirklich der philosophischen Frage gestellt hat, ob die Doktrin vom Präventivschlag unrealistisch ist, sie ist praktisch tot. Pentagonchef Donald Rumsfeld und selbst Bush denken bereits laut in diese Richtung.

Trotz Anzeichen von Realitätssinn behält die Bush-Regierung ihren Kurs bei. Steuern die USA auf ein zweites Vietnam zu?

Wir sind auf dem besten Wege dorthin. Die Regierung hat nur wenige Optionen. Eine Lösung für Bush im Hinblick auf sein politisches Überleben wäre, den Irak rasch zu verlassen. Und dann zu hoffen, dass er möglichst schnell vom Radarschirm der Amerikaner verschwindet. Dies wird jedoch nicht passieren, da die Regierung, wie anfangs in Vietnam, keine Fehler eingestehen wird. Die anderen Optionen sind auch nicht besser. Wir internationalisieren den Wiederaufbau, um ein paar mehr Soldaten und Finanzhilfen zu bekommen. Die Gewalt wird weitergehen, da sie gegen die US-Besatzer gerichtet ist. Oder wir demonstrieren Härte, stationieren mehr Truppen und berufen Reservisten ein. Das wäre jedoch das Eingeständnis, dass sich die Sicherheitslage nicht verbessert, wie Bush stets behauptet. Die Stimmung hier würde sich dramatisch verschlechtern und es wäre für Bush wahrscheinlich politischer Selbstmord. Die verbleibende, sehr unzulängliche, Option erleben wir gerade.

Neben der gefährlichen Lage im Irak gibt es keinen Fortschritt in Nahost, Afghanistan ist instabil, und mit dem Iran verhandeln erfolgreich die Europäer. Zerbröselt die neokonservative Vision vom Weltpolizisten Amerika?

Bush lernt, dass selbst eine Supermacht der Welt nicht ihren Willen aufzwingen kann. Die erste Lehre ist Nordkorea. Um das Verhältnis mit dem irren Diktator zu entspannen, scheint er bereit, ihm eine Zusicherung über einen Nichtangriff zu geben. Die Präventivdoktrin hat nicht funktioniert mit Pjöngjang.

War der Irak ein „Trial and Error“ der Bush-Regierung, um zu testen, ob ihre neue Sicherheitsstrategie überhaupt funktioniert?

Das kann man so sehen. Es ist doch so: Die Früchte im Irak hingen einfach tief. Das Land war schwach. Will man wirklich die Weiterverbreitung von ABC-Waffen stoppen, muss man gegen Nordkorea vorgehen. Doch das war aufgrund der regionalen Kräfteverhältnisse nicht möglich, weil sich auch die Supermacht USA nicht gegen China und Russland stellen kann. Die Bush-Regierung versuchte im Irak ein Exempel zu statuieren und andere „Schurkenstaaten“ wie Syrien und Nordkorea einzuschüchtern.

Was kann Bush am Ende, vor allem im Wahlkampf, als Erfolgsgeschichte verkaufen?

Er wird argumentieren, dass die USA dem Irak Demokratie, wie rudimentär auch immer, gebracht haben und dass selbst ein instabliler Irak besser sei als die Diktator unter Saddam Hussein. Diese Botschaft lässt sich jedoch nur verkaufen, wenn keine GIs mehr sterben.

Sie glauben also nach wie vor, dass Amerikanern die Idee von einem Imperium widerstrebt und sie ihre Soldaten nicht für eine Pax Americana sterben sehen wollen?

Amerikaner favorisieren die Haltung, sich nicht in die Angelegenheiten anderer einzumischen. Nur wenn wir eine wirkliche Bedrohung für die nationale Sicherheit spüren, wie es der 11. September war, dann sind wir bereit, hohe Opfer zu bringen. Und in Afghanistan akzeptieren die Menschen weitaus höhere Verluste, weil sie den Zusammenhang zum Antiterrorkampf sehen. Das ist im Irakkrieg nicht der Fall.

Aber die Mehrheit der Amerikaner glaubt nach wie vor an eine Verbindung zwischen Bagdad und den Anschlägen vom 11. September. Daher tolerieren sie die Besatzung des Irak.

Das stimmt. Deshalb wurde Bush bislang unterstützt. Während des Vietnamkrieges gingen die Amerikaner erst sehr spät auf die Barrikaden. Der vermeintliche Angriff auf US-Schiffe im Golf von Tongking und damit die Kriegslegitimation wurde nicht hinterfragt. Erst als sich die Situation dramatisch verschlechterte, nahm die Kritik zu. Das ist heute anders. Der gesellschaftliche Dissens ist viel schneller und viel schwerwiegender aufgetreten.

INTERVIEW: MICHAEL STRECK