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Archiv-Artikel

Der Hauptmieter aus St. Petersburg

Dimitri Kowtun, einer der Hauptverdächtigen der Polonium-Affäre von 2006, taucht in Mietverträgen von studentischen Wohngemeinschaften in Hamburg als Hauptmieter auf. Die Untermietverträge sind befristet, da der Hauptmieter die Wohnung nach Ablauf angeblich selbst nutzen wolle – sagt die Garant Private Vermögensverwaltung, der die Wohnungen gehören

DIMITRI KOWTUN, HAUPTMIETER

Der Geschäftsmann soll sich derzeit in St. Petersburg aufhalten. Zuvor lebte er zwölf Jahre in Hamburg – und würde auch gern dorthin zurückkehren. Allerdings nur, wenn die deutsche Justiz ihm „freies Geleit“ zusichert. Das gibt es allerdings nur für Zeugen von Schwerverbrechen. Kowtun befürchtet, in Deutschland verhaftet oder nach England ausgeliefert zu werden. Bis heute beteuert er, nicht an der Ermordung Litwinenkos beteiligt gewesen zu sein. Auch will er niemals für einen russischen Geheimdienst gearbeitet haben.  JV

VON JOSEPH VARSCHEN

Manuel S., Brigitte R. und Melanie A. wohnten bis Anfang des Jahres in einer WG in der Max-Brauer-Allee in Hamburg-Altona. Wegen eines nicht behobenen Wasserschadens kürzten sie die Miete, woraufhin der Eigentümer, die Garant Private Vermögensverwaltung, ihnen im Namen des Hauptmieters sofort kündigte. Der Hauptmieter komme aus dem Ausland zurück und wolle zusammen mit seiner schwangeren Frau in die Wohnung einziehen.

Es sei eine Masche der Garant, ihre Wohnungen über ausländische Hauptmieter an studentische Untermieter zu vermieten, sagt Marc Meyer, Rechtsanwalt des Hamburger Mietervereins „Mieter helfen Mietern“. Das mache das Mietverhältnis aus Vermietersicht sehr flexibel, da die Mietverträge nur jährlich verlängert würden. „Sobald ein Mieter irgendetwas zu beanstanden hat, wird der Mietvertrag nicht verlängert oder sofort gekündigt.“ Es heiße dann, der Hauptmieter wolle die Wohnung wieder privat nutzen.

Die Studenten in der Max-Brauer-Allee sahen sich im Recht und blieben zunächst in der Wohnung. Irgendwann stand tatsächlich eine schwangere Frau mit ihrem Mann vor der Tür und wollte die Wohnung besichtigen. Doch der Mieterverein „Mieter helfen Mietern“ hatte den Studenten geraten, niemanden reinzulassen, der sich nicht ausweisen könne. „Als wir nach Führerschein oder Ausweis fragten, sind die beiden nach kurzer Diskussion mit dem Auto verschwunden“, sagt Brigitte. Es habe sich wohl um bestellte Statisten der Firma Garant gehandelt.

Obwohl sie sich im Recht fühlten, zogen die Studenten schließlich doch aus – ihnen fehlte der Mut, gegen die Vermieter vorzugehen. Zu ihrer Überraschung mussten sie unmittelbar nach ihrem Auszug feststellen, dass die Wohnung wieder als WG angeboten wurde – der Hauptmieter war also doch nicht eingezogen. Die ehemaligen Bewohner der Wohnung beschlossen, zum Besichtigungstermin zu gehen – sie wollten den Makler zur Rede stellen und womöglich den mysteriösen Hauptmieter kennen lernen.

Etwa 20 Interessenten waren zur Besichtigung der Wohnung in attraktiver Lage erschienen. Empfangen wurden sie von Leonora Wall, einer Angestellten der Garant Vermögensverwaltung. Auf Nachfragen, was mit dem Hauptmieter und seiner schwangeren Frau geschehen sei, reagiert Wall unwirsch. „Sie sind zu spät ausgezogen, das war zu viel Stress für den Hauptmieter, deshalb hat er gekündigt und ist wieder nach Russland zurückgegangen.“

Eine Adresse oder sonstige Informationen wollte Wall nicht weitergeben, „ich habe meine Anweisungen“. Die Einschreiben des Anwalts von „Mietern helfen Mietern“ würden nicht beantwortet, da die Garant Verwaltung, für die sie nach eigenen Angaben 600 Hauptmieter betreue, seit einiger Zeit im Urlaub sei. Das Fax-Gerät sei einem Blitzeinschlag zum Opfer gefallen.

Die Wohnung fand an diesem Tag keine neuen Mieter. Nach dem Wortgefecht zwischen Wall und den Ex-Bewohnern zerrissen viele der Interessenten ihre Selbstauskunft und verließen die Wohnung.

Der ominöse Hauptmieter der Wohnung hat in Hamburg schon einmal für Furore gesorgt. Nach Informationen der taz handelt es sich um den russischen Geschäftsmann Dimitri Kowtun. Gegen ihn ermittelt nach wie vor die Hamburger Staatsanwaltschaft – wegen unerlaubten Transports radioaktiver Stoffe und dem Verdacht auf Vorbereitung eines Strahlenverbrechens. Kowtun gilt als einer der Hauptverdächtigen für die Ermordung des russischen Ex-Agenten Alexander Litvinenko im November 2006. Litvinenko starb an einer Überdosis radioaktiven Poloniums, nachdem er sich mit Kowtun und einem weiteren Russen in einem Londoner Hotel getroffen hatte. Vor dem Flug nach London hielt sich Kowtun auch in Hamburg-Altona auf und hinterließ dort mit Polonium verstrahlte Wohnungen – offenbar hatte er selbst etwas abbekommen.

Nach dem Wortgefecht zerrissen viele ihre Selbstauskunft

Dass Kowtun in den Mietverträgen der Garant Vermögensverwaltung auftaucht, ist kein Zufall. Hartmut Kohnke, der Geschäftsführer der Garant, lebt momentan zusammen mit der Ex-Schwiegermutter von Kowtun, Eleonora Wall. Auch sie hat als vermeintliche Hauptmieterin Studenten zum Auszug bewegt, wobei sie im Briefverkehr eine tschechische Adresse angab – dabei ist sie in Hamburg als Psychotherapeutin tätig.

2006 führte die radioaktive Spur Kowtuns durch mehrere Immobilien Kohnkes. In Hamburg hatte er die Wohnung seiner geschiedenen Ehefrau in der Erzbergerstraße kontaminiert. In dem Wohnhaus in Ottensen wohnen verschiedene Studenten-WGs, als Hauptmieter ist ein russischer Geschäftsmann eingetragen. Letztendlich führte Kowtuns Spur auf einen Obsthof in Haselau in Schleswig Holstein. Dort wohnt Kohnke mit seiner Lebensgefährtin Wall.

Kowtun ist nur einer von vielen Hauptmietern mit Adresse in Osteuropa, derer sich die Garant bedient. Deren Hamburger Firmenadresse besteht aus einem Briefkasten. Doch für die meisten Mieter spielen die Geschäftsmethoden der Garant keine Rolle. Solange die Mieter der Garant keine Unannehmlichkeiten bereiten, bemerken sie ihre prekäre Mietsituation meistens gar nicht.

Die Garant Private Vermögensverwaltung war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Auch der Versuch, über Maklerin Leonora Wall eine Verbindung herzustellen, misslang. „Das ist meine private Nummer. Bitte rufen Sie mich nie wieder an“, sagte Wall und legte auf.