: Er sang seine Lieder nicht, er lebte sie
Wenn Jacques Brel die Bühne betrat, geriet jede seiner Zellen in Ekstase. In diesem Monat würde er 80 Jahre alt. Eine Hommage im Admiralspalast, bei der Zazie de Paris und Cornelis Voogdt Brels Chansons singen, erinnert daran
Die Nebelmaschine läuft, leise beginnt das Akkordeon seine melancholische Melodie. Auf Niederländisch singt Cornelis Voogdt „Amsterdam“ von Jacques Brel. Der schon zu Lebzeiten wie ein Mythos verehrte Chansonnier wäre in diesem Monat 80 Jahre alt geworden. Auf der Studiobühne des Admiralspalasts setzt der Kontrabass ein.
Zazie de Paris lehnt an der Hafenkulisse im Hintergrund, frivol über die Schulter blickend. Die feuerrote Mähne der Sängerin und Schauspielerin ist von einem Barett halb verdeckt. Dezent eingesetzte Bühnenmittel und die bestechenden Arrangements von Violine, Violoncello, Mandoline, Kontrabass und Akkordeon des Ensembles Piaccordia erzeugen das, was man sich unter verruchter Atmosphäre vorzustellen pflegt. Unweigerlich denkt man an Dockarbeiter, Huren und das rege Treiben eines großen Seehafens. Zazie de Paris und Cornelis Voogdt, die Stars des heutigen Abends, transportieren aber auch die Leichtigkeit, den Lebensschmerz und die Lebensfreude Brel’scher Chansons.
Durchs Programm führen Anekdoten und Geschichten von und über Jacques Brel, den Zazie de Paris im Paris des Jahres 1968 noch selbst traf. Es ist eine Hommage, ein Abend für Jacques Brel, einen der größten Sänger und Dichter in der Welt des Chansons. Premiere war bereits im Oktober, als sein Todestag sich zum 30. Mal jährte. Brels Geburtstag zum Anlass zu nehmen, das Programm erneut zu spielen, macht den Sängern mehr Spaß: „Jeder Chanson Jacques Brels ist ein kleines Theaterstück“, sagt Zazie de Paris und lacht. „Er sang seine Lieder ja nicht einfach, er lebte sie.“
Brels schweißtreibende Auftritte sind legendär. Wenn er die Bühne betrat, geriet jede seiner Zellen in Ekstase. Er bebte, gestikulierte, schwitzte und wunderte sich nach dem Auftritt, dass er ein Kilo leichter war als zuvor. Immer ging es ihm um die großen Themen des Lebens: Liebe, Tod, Sehnsucht, Freiheit. Im Paris des Existenzialismus traf er den Nerv der Zeit. Und im Alcazar traf er das Bühnentalent Zazie de Paris, das damals noch Serge de Paris hieß und ein Mann war. Der Nachtclub stand in der Tradition des Moulin Rouge, er stand für die Undurchsichtigkeit der Nacht, die Lust an der Verkleidung und dem Versteckspiel. Es war die Welt der Sehnsuchtsgeschöpfe, in die der Gast auch all das hineinprojizieren konnte, was er nicht sein wollte.
Brel war hier auch nur Gast. Er verzichtete auf einen Platz im Parkett, wo die Besserverdienenden saßen. Er verfolgte das Geschehen von der Empore aus, die wegen Platzmangel zugleich die erweiterte Garderobe der Künstler darstellte.
Nachdem er das bürgerliche Leben in Belgien mitsamt Frau und drei Töchtern hinter sich gelassen hatte, ging Brel im Alter von 24 Jahren nach Paris. Anstatt die väterliche Kartonagenfabrik zu übernehmen, trat er in diversen Avantgardelokalen wie dem L’Ecluse oder dem Patachou auf. Schon damals waren die Auftritte des Chansonniers mit dem großen Mund leidenschaftlich, sozialkritisch, manchmal verhalten und plötzlich aggressiv. Innerhalb kürzester Zeit wurde der belgische Sänger mit der rauen Stimme zur Kultfigur der Chanson-Szene. Sein revolutionärer Elan begeisterte das Publikum weltweit – nur die Belgier nicht. Im Stück „Les F.“ nennt er die Flamen „Nazis während der Kriege, dazwischen Katholiken“. Die Platte war Debattenthema im Brüsseler Parlament.
Brel wuchs mit Flämisch, also einem niederländischen Dialekt, auf und wurde wegen seiner „Bauernsprache“ während der Kindheit verspottet. Die Zweisprachigkeit verbindet ihn mit Zazie de Paris und Cornelis Voogdt, die gerne seine Internationalität betonen und glücklich sind, seine Stücke in ihren Muttersprachen zu singen, einige auch in deutschen Übersetzungen. „Trotzdem war es nicht leicht, aus dem riesigen Werk Brels eine Handvoll Chansons auswählen zu müssen“, sagt Zazie de Paris. „‚Ne me quitte pas‘ und ‚Madeleine‘ sind aber dabei, dieu merci!“ MARLENE GIESE
3. und 4. April, 20.30 Uhr, Admiralspalast