Chodorkowski will in die Politik

Nach dem Rücktritt des verhafteten Yukos-Chefs und dem Austritt aus seiner Firma liegt deren Leitung jetzt überwiegend in den Händen von US-Bürgern. In der Presse wird der populäre Ölbaron bereits als russischer Präsidentschaftskandidat gehandelt

von BARBARA KERNECK

Neun Tage nach seiner Verhaftung hat Michail Chodorkowski, Chef von Russlands größter Ölgesellschaft YukosSibneft, aus der Untersuchungshaft heraus einen spektakulären Schlag gegen seine möglichen Feinde in der russischen Staatsanwaltschaft und der Regierung geführt: Er erklärte seinen Rücktritt von allen Posten in der Ölgesellschaft und seinen völligen Austritt. Seine Erklärung wurde Zeitungsredaktionen und Presseagenturen von der Yukos-Presseabteilung per Fax zugestellt, während die E-Mail der Firma Anfang der Woche seltsamerweise nicht funktionierte.

Chodorkowski war vor den Gewehrmündungen einer Sondereinheit verhaftet worden, weil die Staatsanwaltschaft ihm Steuerhinterziehung und Betrug vorwirft. Viele Medien sehen aber in den Maßnahmen gegen den Ölbaron eine Machenschaft des Kreml, dem Chodorkowskis politische Aktivitäten unliebsam wurden. Im Vorfeld der kommenden Duma-Wahlen unterstützte er finanziell die oppositionelle Partei Yabloko und die regierungstreue, aber liberale „Union rechter Kräfte“. In der Presse wurde er bereits als möglicher Präsidentschaftskandidat gehandelt. Seit Juni, als zum ersten Mal ein führender Mitarbeiter der Yukos verhaftet wurde, hatte es von offizieller Seite genügend Warnungen an die Adresse Chodorkowskis gegeben. Leicht hätte er das Land verlassen können, doch er stellte sich der Haft.

In der begleitenden Erklärung begründet Chodorkowski seinen Rücktritt mit dem Wunsch, seine bisherige Ölgesellschaft aus der Feuerlinie des Konfliktes zwischen sich selbst und der Staatsanwaltschaft herauszuhalten. Außerdem äußert er darin seine Absicht, sich künftig als Vorsitzender der von ihm gegründeten Organisation „Offenes Russland“ ganz der Politik zu widmen. „Wo auch immer ich arbeiten werde“, heißt es darin, „werde ich meine ganze Energie meinem Land widmen – Russland, an dessen große Zukunft ich fest glaube.“

Nach einer Hörerumfrage des Rundfunksenders Echo Moskvy ist Chodorkowski in den vergangenenTagen zu der seit langer Zeit ersten Persönlichkeit geworden, die Präsident Wladimir Putin an Popularität überflügelt. Professionelle unabhängige Meinungsumfragen sind in Russland eine Seltenheit geworden, seit im Sommer das traditionsreiche Meinungsforschungsinstitut WZIOM unter Staatsaufsicht gestellt und sein Leiter, Juri Lewada, entlassen wurde.

Chodorkowskis Nachfolger in der Leitung der YukosSibneft wurde deren bisheriger Aufsichtsratsvorsitzender Simon Kukes, ein US-Bürger russischer Herkunft. Die Fusion zwischen den beiden Firmen Yukos und Sibneft fand bereits im Sommer statt. Unter Berücksichtung der damit verbundenen laufenden Veränderungen sind jetzt die meisten Mitglieder der Firmenleitung US-Bürger.

Was die Beziehungen zwischen Russland und der EU angeht, so möchte sie einer der Anwälte Chodorkowskis beeinflussen: Robert Amsterdam, selbst US-Amerikaner. Mit einem 25 Seiten starken Dokument namens „Weiße Seiten“ – über Verstöße gegen innerrussisches Recht und EU-Abkommen im Falle Yukos – reiste er Ende vergangener Woche nach Brüssel. Vor der Eröffnung des nächsten EU-Gipfels in Rom will Amsterdam dort eine Pressekonferenz abhalten.