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Archiv-Artikel

„Die Volkswirtschaft ist keine Pommesbude“

Politiker fast aller Parteien scheinen sich mittlerweile einig zu sein: „Wir müssen alle mehr arbeiten.“ Aber wäre Arbeitszeitverlängerung tatsächlich ein probates Mittel, um Unternehmen wettbewerbsfähiger zu machen und die Konjunktur anzukurbeln? Kritiker meinen: nein

Gefordert wird Mehrarbeit ohne Lohnausgleich, sogar die 48-Stunden-Woche wirddiskutiert. Wer bietet mehr?

BERLIN taz ■ So viel Einigkeit war selten. Die Einigung bei Opel in Rüsselsheim auf Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich sei absolut begrüßenswert. Das sagten: Arbeitgeber, Politiker und – die IG Metall. Klar, davon profitieren in Krisenzeiten beide Seiten des Autobauers. Das Unternehmen kann über die Arbeitszeit auf die gesunkene Nachfrage reagieren. Es wird nicht nur das Arbeitsvolumen reduziert, sondern erspart der Firma auch Entlassungen und teure Sozialpläne. Der Arbeitnehmer wiederum behält, als garantierte Gegenleistung, seinen Job. So weit zur Einigkeit. Die aber schwindet zwischen Gewerkschaften sowie Arbeitgebern und vielen Politikern, wenn es um die Diskussion über Verlängerungen der Arbeitszeit geht.

Es geht immerhin ans Eingemachte: Diskutiert wird nicht mehr über die Lohnnebenkosten, es steht generell der Wert von Arbeit zur Disposition. Politiker fast aller Parteien scheinen sich über ein Credo einig geworden zu sein: „Wir müssen alle mehr arbeiten.“ Das sagt Wolfgang Clement (SPD). Das sagen auch Angela Merkel (CDU) oder Guido Westerwelle (FDP). Gefordert werden mindestens ein bis zwei Stunden Mehrarbeit ohne Lohnausgleich, sogar die 48-Stunden-Woche wurde in die Diskussion gebracht. Wer bietet mehr? Ist die Arbeitszeitverlängerung tatsächlich ein probates Mittel, um die Unternehmen wettbewerbsfähiger zu machen und die Konjunktur anzukurbeln?

Der Beginn der Politikervorstöße fiel mit dem Gutachten der führenden Wirtschaftsinstitute zum Wirtschaftswachstum zusammen. 1,7 Prozent Wachstum prophezeiten die Experten für 2004. Das Wichtigste: Ein Plus von 0,6 Prozent sei einzig der Tatsache zu verdanken, dass sechs Feiertage auf das Wochenende fallen. Der Umkehrschluss: Mehr Arbeit kurbelt das Wachstum an. Mehr Arbeit bei gleichen Löhnen ermöglicht den Unternehmen mehr Produktion und entsprechend billigere Produkte sowie größere Wettbewerbsfähigkeit.

„Volkswirtschaft funktioniert doch nicht wie eine Pommesbude“, erklärt Hartmut Seifert. Der Arbeitsmarktexperte von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung sieht „viel zu viele ungeklärte Voraussetzungen“ bei der Diskussion um die Arbeitszeitverlängerung. Zum Beispiel würden die Unternehmen ein Absatzproblem bekommen, wenn die Konsumenten die zusätzlichen Waren nicht kaufen – „weil sie in ungewissen Zeiten lieber sparen“, sagt Seifert der taz. Wer garantiere überhaupt, dass mehr und billigere Produkte im Ausland nachgefragt würden, fragt Seifert. Womöglich müssten die Unternehmen dann Arbeitnehmer entlassen – „wegen der Überkapazitäten“.

Auch für Jörg Hinze, Konjunkturexperte beim Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archiv (HWWA), ist die Diskussion um Lohnkosten „auf beiden Seiten zu pauschal“ geführt. Das Arbeitskostenproblem lasse sich nicht auf die Lohnkosten und die Frage nach längeren Arbeitszeiten reduzieren. „Das Problem ist auch die Arbeit der Gering- und Nichtqualifizierten, die nicht mehr bezahlbar ist“, sagt Hinze gegenüber der taz. Schon jetzt bilde diese Gruppe den Löwenanteil der 4,5 Millionen Arbeitslosen in Deutschland. „40 Prozent“, sagt Hinze, „die sind zu teuer.“ Anders als in den USA oder Großbritannien gebe es nur „eine geringe Lohndifferenzierung“.

Ist die Diskussion um längere Arbeitszeiten also eine Seifenblase? Nein, so weit gehen die Wirtschaftsexperten nicht. Und nicht einmal die Gewerkschaften. IG-Metall-Vize Berthold Huber erklärte gestern: „Wir haben Betriebskonjunkturen, wir haben Branchenkonjunkturen. Deswegen ist Flexibilität erforderlich.“ Eine generelle Anhebung der Arbeitszeit würde „die Wettbewerbssituation einzelner Firmen verbessern“, sagt Seifert, aber eben nicht aller. Gefragt sei eine größere Flexibilisierung der Arbeitszeiten, sagt auch HWWA-Konjunkturexperte Hinze. „Dann ist jedes einzelne Unternehmen in der Lage, sich mit der Produktion auf die Nachfrage einzustellen.“

Die Befürworter einer Anhebung der Arbeitszeiten haben derweil ein ganz anderes Problem: Die Entscheidung über Arbeitszeiten fällt in den Bereich der Tarifparteien, nicht in jenen der Politik. Clement, Merkel & Co könnten nur über Feiertage befinden. Aber die fallen im nächsten Jahr ja ohnehin aufs Wochenende. THILO KNOTT