: „Ich war nie wirklich fort“
Gitte Haenning veröffentlicht gleich zwei neue Alben – eines mit Jazz, das andere mit Songs auf der Höhe der Zeit
Eigentlich habe sie sich den Jazz für das Alter vorbehalten, ihn singend wie früher, als es noch Zeit zwischen den Schlagern gab. Dazu Whiskey und eine gute Zigarre, so sagt sie, ganz „alte Lady“: Gitte Haenning (58) konnte nicht warten, schon vor fünf Jahren begann sie, mit Jazznummern durch Deutschland und Skandinavien zu tournieren. Und wie! McCartneys „Blackbird“, Paul Simons „Fifty Ways To Leave Your Lover“, Weills „Lost In The Stars“: Die in Berlin lebende Dänin, erfolgreichste Popsängerin Nachkriegsdeutschlands, kann, was sie kann, singen nämlich, was in ihrem Fall weit über das Handwerkliche hinausgeht. Sie versteht, einem jeden Song die angemessene Intimität, die unverkennbare Prägung zu verleihen. Vielleicht gar besser denn je.
Von „Ich will ’nen Cowboy als Mann“ über „Ich hab’ die Liebe verspielt in Monte Carlo“ bis zu „Lampenfieber“ waren die Lieder, die ihr wert und teuer sind, schon weil sie auch Umsatz machten. Und von denen sie sich nicht distanzieren mag. Sie erzählt im Interview wie auch in Talkshows in aufgeräumtester Manier: „Ich habe alles gerne gemacht. Ich sehe es heute mit gütigen Augen. Hört sich lustig an, und ich nehme es mit Augenzwinkern. Aber das kann ich sagen, denn ich bin alt genug, um nichts zu bereuen.“
Das Jazzalbum ist ein Livemitschnitt ihrer Konzertreise. Das Ereignis ist allerdings das zweite Erzeugnis, nämlich das mit dem Titel „Johansson“ (so auch ihr Familienname), das als Bekenntnis zu modernen Stoffen genommen werden kann. Produziert von einer jungen, zeitgenössisch versierten Crew – die ihr außerdem als Bonus eine ambienthafte Version von „Ich will alles“ schenkten –, singt Gitte Haenning (auf Schwedisch, Deutsch) Texte von Stefan Gwildis, Billy Joel, Gordon Summer oder Per Gässle. In dem Song „Sturmkind“ heißt es am Beginn: „Ich bin wieder da / Und ich war nie wirklich fort“. Was als Indiz dafür genommen werden darf, dass da eine Sängerin sich ihrer seelischen Balance sicher sein kann. Sie weiß um ihre Mittel – der Lohn von 50 Jahren im Entertainmentgeschäft. Sie kann sagen, dass ihr alle Schlager gefallen haben – und nun die Zeit und die Geduld für andere Stoffe gekommen ist. Gitte Haenning muss keinen ästhetischen Sondermüll (re-)produzieren. Die CD des Herbstes! JAF