: „Die Union hat das Thema EU-Beitritt der Türkei verbrannt“, sagt Lothar Probst
Im Gegensatz zu Außenminister Fischer glaubt der Politologe, dass die Debatte offen geführt werden muss
taz: Herr Probst, Unionschefin Angela Merkel hat die Unterschriftenaktion gegen den Beitritt der Türkei zur EU abgesagt. Hat sie das Feld den Rechten überlassen?
Lothar Probst: Es sieht leider so aus, dass sich jetzt die extremen Rechten die Debatte zu Eigen machen. DVU und NPD suchen für die nächsten Wahlen ein geeignetes Mobilisierungsthema und werden sich diese Chance nicht entgehen lassen. Das ist bedauerlich, denn damit wird eine öffentliche Auseinandersetzung erschwert, die unbedingt notwendig wäre. Die Union hat das Thema leichtfertig verbrannt.
Die Ablehnung der Kampagne ging quer durch alle gesellschaftlichen Schichten. Widerstand gegen die Aktion kam auch aus der Union. Welche neue Diskussion sollte da noch zu führen sein?
Es gibt von konservativer und linker Seite ernst zu nehmende Bedenken gegen einen EU-Beitritt der Türkei, zum Beispiel die Zweifel an der Demokratietauglichkeit der Türkei. Darüber hinaus gibt es bei vielen Menschen ein weit verbreitetes diffuses Angstgefühl, nicht zuletzt geschürt durch die öffentliche Diskussion über die Gefahren des Islamismus nach dem 11. 9. Dabei geht es nicht nur um Außenpolitik, sondern auch um Innenpolitik. Diese Ängste müssen diskutiert und dürfen nicht von vornherein mit einem Tabu belegt werden. Dies haben CDU und CSU ja durchaus richtig erkannt.
Offenbar nicht, wenn man sich die Reaktionen anschaut.
Die Union hat mit der geplanten Unterschriftenaktion eine falsche Strategie verfolgt. Unterschriftenaktionen dieser Art sollen meistens dazu dienen, einer Stimmung Ausdruck zu verleihen oder diese zu schüren. Das haben sich einige Leute in der Union mit Blick auf die nächsten Wahlen wohl auch erhofft. Es handelte sich also eher um ein wahltaktisches Manöver, als um den Versuch, die Bedenken gegen den EU-Beitritt der Türkei auf öffentlichen Foren ernsthaft zu diskutieren. Das machte die Aktion sogar für jene anrüchig, die gegen einen Beitritt sind.
Sie fordern, die diffusen Ängste vieler Menschen vor einem Beitritt ernst zu nehmen. Ist das nicht ein gefährliches Spiel?
Mit Emotionen zu spielen ist in der Politik natürlich gefährlich. Aber es ist andererseits naiv, so zu tun, als gäbe es solche Emotionen und Affekte in politisch kontroversen Fragen nicht. Man kann sie nicht wegdiskutieren, sondern muss mit ihnen rechnen. Politiker, auch demokratischer Couleur, wissen das auch und arbeiten selber mit emotionalisierbaren Bildern. Nicht zuletzt die stärkere Personalisierung von Wahlen trägt dem Rechnung. Kandidaten werden zunehmend auch zur Projektionsfläche von Stimmungen und Gefühlen.
Haben Sie keine Sorge, dass der Populismus eines Haider oder Schill davon profitieren würde?
Populisten bekommen dort eine Chance, wo politische Eliten aus funktionalen Gründen kontroverse und emotional besetzte Themen und Konflikte aus dem Diskurs krampfhaft ausklammern wollen. Populisten politisieren häufig solche Themen und bringen sie damit auf die Agenda. In Hamburg war das das Erfolgsrezept von Schill. Bezogen auf die Türkei halte ich es beispielsweise für problematisch, wenn Joschka Fischer sagt, über den EU-Beitritt der Türkei habe man in Deutschland nicht zu diskutieren, das sei Außenpolitik.
Hat er nicht Recht? Die Verhandlungen über einen Beitritt der Türkei werden ausschließlich auf der europäischen Ebene geführt.
Ja, aber es geht hier nicht darum, die Formalia eines EU-Beitritts zu diskutieren. Das weiß auch Fischer. Mit seiner Aussage repräsentiert er vielmehr den Konsens wichtiger Eliten in der Bundesrepublik. Diese befürworten vor allem aus wirtschaftlichen oder auch strategischen Gründen die Aufnahme der Türkei in die EU. Darüber lässt sich ja auch diskutieren, aber nicht, ohne dass gewichtige Gegenargumente abgewogen werden. Die Union hat letzten Endes kalte Füße bekommen, weil sie Angst hatte, aus dem Elitekonsens auszuscheren.
Und das wäre notwendig?
Es ist zumindest nötig, den Leuten zu vermitteln, dass die Frage nicht schon entschieden ist, weil die politische Elite das funktional für richtig hält. Niemand kann an einer wachsenden Kluft zwischen der Meinung der Eliten und dem Diskussionsbedarf vieler Menschen interessiert sein. Dann würde man den rechten Populisten das Feld erst recht überlassen. Diese nutzen eine solche Kluft im Sinne einer für Populisten typisch binären Kodierung: ‚Die da oben‘ und ‚Wir hier unten‘. Die Union hat durch ihren Vorstoß – ob gewollt oder nicht – einer solchen Polarisierung letzten Endes Vorschub geleistet.
Inwiefern?
Die Idee Unterschriftenkampagne und das jetzige Aufspringen der Rechtsextremen kann dazu führen, dass alle Bedenkenträger gegen einen EU-Beitritt der Türkei in Zukunft in eine bestimmte Ecke gedrängt werden. Das erzeugt leider einen gewissen Konformitätsdruck, obwohl es ernst zu nehmende Gründe gegen den Beitritt gibt.
Die CDU lehnt den Beitritt der Türkei weiter ab, will das Thema aber erst einmal ruhen lassen. Ist die Debatte damit nicht de facto beendet?
Nachdem sie sich die Finger verbrannt haben, werden Angela Merkel und die CDU wahrscheinlich erst einmal Gras über den Vorstoß wachsen lassen. Bis zu einem möglichen EU-Beitritt der Türkei dauert es aber noch einige Jahre. Deshalb wird es trotz der Versuche der Rechtsextremen, das Thema nun für sich auszuschlachten, auch in Zukunft noch viele Möglichkeiten geben, es offen zu diskutieren. Die politischen Eliten täten gut daran, sich dieser Diskussion zu stellen statt sie unter den Teppich zu kehren.
INTERVIEW: DANIEL SCHULZ