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Archiv-Artikel

Generalprobe für absurdes Theater

Sowohl Regierung als auch Opposition sehen sich im Haushaltsausschuss durch das Urteil des Verfassungsgerichts bestätigt. Morgen wiederholt sich das bei einer Sondersitzung des Parlaments. Misstrauensanträge chancenlos

Die morgige Parlamentssondersitzung dürfte turbulent verlaufen. Zumindest, wenn man die gestrige Debatte im für Finanzen zuständigen Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses als einen Hinweis darauf deutet, in welche Richtung die Diskussionen in den Sondersitzungen des Parlaments gehen werden. Sowohl die Opposition als auch die rot-rote Koalition sehen sich durch das einschneidende Urteil des Landesverfassungsgerichtes bestätigt, das in der vergangenen Woche den Landeshaushalt als verfassungswidrig bezeichnet hatte. Morgen und am Montag kommt das Abgeordnetenhaus zu Sondersitzungen zusammen.

Die Oppositionsfraktionen CDU, FDP und Grüne wollen morgen einen Misstrauensantrag gegen Finanzsenator Thilo Sarrazin und den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (beide SPD) einbringen. Darüber entscheiden die Abgeordneten dann am Montag in einer namentlichen Abstimmung. Erfolgreich ist ein Misstrauensantrag, wenn die Mehrheit der Parlamentarier zustimmt, dass das betroffene Regierungsmitglied zurückzutreten hat. Eine Chance auf Erfolg haben diese Anträge aber kaum, da die rot-rote Parlamentsmehrheit sie ablehnen dürfte.

Inhaltlich bot die Debatte im Hauptauschuss einen oft polemischen Vorgeschmack auf künftige Parlamentsreden: „Versagen“ und „Blockade“ waren die Schlagwörter. FPD-Fraktionschef Martin Lindner etwa warf dem Senat „schlampige Arbeit“ vor, um dann altbekannte Forderungen nach betriebsbedingten Kündigungen im öffentlichen Dienst und Verkäufen von Landesbeteiligungen zu wiederholen. CDU-Fraktionschef Nicolas Zimmer beschwor den Senat, einen verfassungsgemäßen Haushalt vorzulegen. Andernfalls „sehen wir uns vor dem Verfassungsgericht wieder“.

Der Grünen-Haushaltsexperte Jochen Esser betonte, auch nach dem Urteil bleibe „das Königsrecht des Parlaments, einen Haushalt aufzustellen“. Der Senat müsse nun wählen, womit er die überhöhte Neuverschuldung begründen wolle: mit der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in der Hauptstadt oder mit der extremen Haushaltsnotlage. Das Landesverfassungsgericht hatte den Haushalt 2002/2003 als verfassungswidrig bezeichnet, weil die Höhe der Neuverschuldung die Ausgaben für Investitionen bei weitem überschreitet.

Das Urteil unterstütze zentrale Linien der Haushaltspolitik des Senats, war sich PDS-Haushaltsexperte Carl Wechselberg sicher. Er bekräftigte, dass sich Berlin in einer extremen Haushaltsnotlage befinde. Aber auch der Begründungsdruck auf die Ausgabenpolitik werde erhöht. Eine wichtige Frage sei: „Zwingt uns das Urteil dazu, den Konsolidierungskurs zu verschärfen?“

„Das Urteil schreibt Rechtsgeschichte“, betonte Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD). Allerdings seien bis auf eine Ausnahme seit 1993 alle Berliner Landeshaushalte verfassungswidrig gewesen.

Die Ausnahme war das Jahr 1997, als sich durch den einmaligen Verkauf von Bewag und Gasag Sondereinnahmen verbuchen ließen. Sarrazin: „Das war von Anfang an eine Fahrt in den Wahnsinn.“ Den von der Opposition geforderten Sanierungsplan gebe es bereits.

Der Haushalt für 2004/2005 kann voraussichtlich erst im Januar verabschiedet werden. Nach dem Verfassungsgerichtsurteil müssten die Begründung des Etatentwurfs überarbeitet und „der eine oder andere Haushaltsansatz geändert werden“, sagte Sarrazin. Das erfordere eine „sorgfältige und aufwändige Arbeit“. Der Senat brauche dafür „mindestens drei bis vier Wochen“. RICHARD ROTHER