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Archiv-Artikel

Von Brüssel nach Kabul

Eine Reise auf der neuen Seidenstraße: Die globalen Strategen haben die alte Handelsroute zwischen Europa und Asien wieder entdeckt. Die EU will diesen Markt besetzen. Daimler will seine Lkws verkaufen. Die Länder an der Straße hoffen auf eine neue Anbindung an die Welt

von PHILIPP MAUSSHARDT

Darauf war Teehausbesitzer Amair im usbekischen Scherabad nicht vorbereitet: 24 Last- und Lieferwagen hielten direkt vor seinem Garten, die Fahrer setzten sich unter die Platane in den Schatten und verlangten nach Tee und Kaffee. Amair rannte wie ein Berserker, nein tanzte wie ein Derwisch oder – besser noch, stürmte wie ein Mongole zwischen der Terrasse und der kleinen Teeküche hin und her und suchte händeringend nach Tassen für die vielen unerwarteten Gäste. Durch Scherabad fahren nicht viele Lastwagen und schon gar nicht so schöne, nagelneue mit dem Stern.

Vielleicht war dieser Tag im Herbst für Amair ja nur der Anfang vom Anfang eines guten Geschäfts – als eine Lkw-Kolonne von DaimlerChrysler unter der Schirmherrschaft der Europäischen Union auf ihrem Weg von Brüssel nach Kabul hier Rast machte.

In den Köpfen gibt es sie jedenfalls schon: Die neue Straßenverbindung zwischen Europa und Asien, die eigentlich uralt ist. Seit zehn Jahren bastelt Brüssel mit den an der Route gelegenen Staaten an der Wiederbelebung der Seidentraße. DaimlerChrysler, größter Lkw-Produzent der Welt, testete jetzt vorab die Strecke.

Eine Schiffsreise von Rotterdam nach Schanghai dauert ungefähr 40 Tage. Unendlich lange in Zeiten des schnellen Warenumschlags. Einen Container per Luftfracht zu verschicken, kostet je nach Gewicht auf derselben Strecke bis zu 200.000 US-Dollar. Unendlich viel Geld für die hart kalkulierte Gewinnspanne der Händler.

Warum die Unendlichkeit also nicht halbieren, oder gar vierteln, fragte man sich in Brüssel, als nach dem Ende der Sowjetunion die neuen zentralasiatischen Staaten ihre Grenzen öffneten. Und so schloss die EU 1993 mit acht zentralasiatischen Staaten unter dem Namen Traceca (Transport Corridor Europe Caucasus Asia) einen Vertrag zur Wiederbelebung der Seidenstraße.

Alle an der Strecke gelegenen Staaten erhoffen sich wirtschaftliche Impulse durch den Fernverkehr. Ein Mythos wird plötzlich wieder wach, ein Traum von Glanz und Gloria. Die alte Seidenstraße war gar keine Straße. Eher ein Netz aus Wegen, die den äußersten Nordwesten Chinas mit dem heutigen Syrien und Jordanien verbanden. Von dort gelangten die Waren dann übers Meer, weiter bis nach Rom und in andere europäische Städte. Auf dem Rücken von Kamelen, Pferden und Eseln wurden die Güter transportiert, entlang der Route lagen Servicestationen für Mensch und Tier. Nur nannte man die Logistikzentren noch Karawansereien, und anstelle von Werkstätten benötigte man eher einen Tierarzt. Die usbekische Provinzhauptstadt Samarkand zehrt noch heute von ihrem Ruf, einmal wirtschaftliches und kulturelles Zentrum dieser euro-asiatischen Verbindung gewesen zu sein. Die türkis gekachelten Kuppeln der ehemaligen Koranschulen leuchteten zumindest noch immer in der Abendsonne, als der Konvoi der Mercedes-Trucks sich der Stadt näherte.

Dass die moderne Karawane bis dahin schon knapp 20 Tage unterwegs war, lag nicht an den Straßenbedingungen. Die sind nicht zuletzt dank der 110 Millionen Euro aus dem EU-Topf erstaunlich gut. Auch nicht an den Grenzformalitäten. Die waren von den Transitländern für die Testfahrt auf ein Minimum reduziert worden. Die Zeitverzögerung lag eher an der Gastfreundschaft von Regierungschefs, Verkehrsministern und Bürgermeistern, die den hoffnungsvollen Konvoi nicht ohne ein Mittagessen von unter zehn Gängen passieren lassen wollten. Dass der Hauptgang allerdings erst nach der zehnten Vorspeise beginnt, war den Fernfahrern aus Möhringen – dem Sitz der DaimlerChrysler-Zentrale – dann doch etwas zu fremd. Weshalb sie vorzeitig das Restaurant in der georgischen Stadt Tskaltubo verließen, unter extremer Anspannung ihrer Bauchdecke bereits nach dem siebten Gang – einen etwas ratlosen Bürgermeister zurücklassend.

Seit drei Jahren ebnet die DaimlerChrysler-Tochter Dornier Consulting im Auftrag der Europäischen Kommission den Weg der neuen Seidenstraße. Die Büros in Baku, Taschkent und Odessa dienen vor allem dazu, die Verkehrsinfrastruktur zu verbessern, Zollbarrieren abzubauen und manchem Minister begreiflich zu machen, dass illegaler Wegezoll und Korruption nicht gerade die Bereitschaft der Spediteure erhöhen, die neue Seidenstraße als Transportroute zu wählen. An allen Grenzstationen hängen nun schon einmal Traceca-Hinweisschilder mit Telefonnummern, um bei Problemen mit den Zöllnern Hilfe zu rufen.

In der deutschen Konzernzentrale sieht man in diesem Projekt nicht nur einen Weg, den Gütertransport und damit den Verkauf von Lastwagen zu fördern. „Die Wiederbelebung alter Handelswege mit humanitären und friedlichen Zielen durch das Project Traceca setzt eine Philosophie in die Realität um, wonach der Austausch von Waren auch den Austausch von unterschiedlichen Ansichten mit sich bringt und damit der Toleranz und letztlich dem Frieden dient“, heißt es in einer Pressemitteilung. Verkehr als Terrorismusbekämpfung. Warum nicht?

Den Organisatoren der Testfahrt kam auf jeden Fall sehr zupass, auf den nagelneuen Actros-Lkws rund 200 Tonnen Hilfsgüter des Technischen Hilfswerks von Bonn nach Kabul transportieren zu können. Die Anfang September in Deutschland gestartete Karawane erreichte schließlich am 30. September die Grenze von der usbekischen Stadt Termes ins afghanische Hairaton über die „Brücke der Freundschaft“ und den Fluss Amu-Darja.

„Schwerer wiegt die Hoffnung, die sie transportieren“, sagte sinngemäß der stellvertretende usbekische Minister für Katastrophenschutz (!) beim Empfang (nur sieben Gänge).

Als Spion saß schon mal der Verkaufsmanager für Zentralasien in Europas größter Spedition mit am Steuer. Das Reutlinger Transport- und Logistikunternehmen Willi Betz mit seinen 6.500 Mitarbeitern ist seit Jahren mit seinen blau-gelben Lastern in Osteuropa und Asien unterwegs.

Vor der iranischen Revolution fuhren die Betz-Laster fast täglich in Richtung Teheran ab. Betz gehört die für die Route wichtige Fährverbindung vom Bulgarischen Burgas nach Poti in Georgien.

Jetzt hat Betz China im Blick. „Wenn China sein Straßennetz weiter ausbaut, könnten wir Rotterdam mit Schanghai verbinden zu weitaus besseren Bedingungen als im Moment“, sagt Verkaufsmanager Ingo Noe.

Die Chinesen haben ihr Interesse an Traceca schon mehrfach signalisiert. Die Hauptstadt der Region Xinjang im Nordwesten wird zur Zeit als Wirtschaftszentrum ausgebaut. Urumtschi hat heute 1,2 Millionen Einwohner und lag schon einmal strategisch wichtig an der Seidenstraße. Zwischen Urumtschi und Almaty in Kasachstan wird ebenfalls an einer Straßen- und Bahnverbindung gebaut.

In Zeiten der Globalisierung bekommt die Luftfracht und der Schiffscargo unerwartet Konkurrenz. Zwar führen nur noch die wenigsten Straßen nach Rom. Aber recht hatten die alten Cäsaren wahrscheinlich trotzdem, und Teehausbesitzer Amair, könnte er lateinisch, würde begeistert zustimmen: „Via est vita“ – die Straße bedeutet Leben.