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Archiv-Artikel

herr tietz macht einen weiten einwurf Fritz Tietz über die Dopingindustrie

Wie muss man drauf sein, um seine Nase ständig in anderer Leute Ausscheidungen zu stecken?

Fritz Tietz ist 44 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und liest am heutigen Donnerstag ab 21 Uhr in Berlin (Pappelallee 81, Prenzlauer Berg) im Rahmen der monatlichen Fußball-Lesereihe „Schlusskonferenz“ aus seinem sportlichen Oeuvre.

Beim Thema Sport-Doping drängt sich mir immer eine Zeichnung F. K. Waechters vor das geistige Auge. „Beim Urologen“ ist diese überschrieben, und folglich sieht man auf ihr einen solchen Doktor Untenrum, der, mit hängenden Schultern und die Hände tief in die Taschen seines Arztkittels vergraben, sehr melancholisch sinnend aus dem Fenster seiner Praxis blickt und, laut Bildunterschrift, denkt: „Pissröhrchen, Pissröhrchen, Pissröhrchen.“

In der Tat ist Doping für mich unter anderem deshalb so ein unappetitliches Thema, weil ihm immer dieses Urologische anhaftet. Dieser Hautgout von erkaltender Sportler-Pisse, der die Berichterstattung so penetrant durchzieht. Schon wenn nur irgendwo berichtet wird, dass ein Athlet nach einem Wettkampf eine Urinprobe abschlagen musste, kriecht mich der selbst in der Einbildung noch beißend-herbe Odem frischen Sportler-Urins an; und wie arg (um nicht zu sagen arrrrggggh) menschlicher Harn nach einer ausdauernden sportlichen Betätigung riechen kann, weiß jeder, der aktiv Sport treibt. Wer nicht, kann ja mal im nächstgelegenen Zoo an einem Pumakäfig schnuppern.

Als sie kürzlich in den USA diesen neuen Päppelstoff THG entdeckten, liefen die Medien von Urinproben wieder geradezu über. Weltweit und hektoliterweise musste nun abermals Sportlerpippi in alle verfügbaren Teströhrchen pullern. Sogar in monatealte Proben (des doch wohl schon flockig gewordenen Sportlerharns) sollte noch einmal kontrollehalber hineingerochen werden. Meine Güte! Wie muss man drauf sein, um seine Nase ständig in anderer Leute Ausscheidungen zu stecken?

Und wie unglaublich viele Antidoping-Experten in wer weiß wie vielen Antidoping-Kommissionen, Antidoping-Instituten und Antidoping-Laboren dafür tätig sind. Eine regelrechte internationale Antidoping-Industrie scheint sich da etabliert zu haben, die, so jedenfalls der massive Eindruck, eine Höchstzahl ausgewiesener Antidoping-Spezialisten beschäftigt. Um nur einige zu nennen: Die unangemeldeten Dopingtester etwa, die dauernd in die Trainings- und Wettkampfstätten der Welt ausschwärmen müssen. Oder die Urinproben-Kuriere, die den noch warmen Urin aus den entlegensten Höhentrainingslagern schnellstmöglich in die heimischen Antidoping-Labore schaffen, um die dort ungeduldig harrenden A- und B-Probennehmer samt dem ganzen daran hängenden Rattenschwanz aus Reagenzglasern, Teststreifenpolizisten, Urinal-Beamten, Pissröhrchenspülkräften, Harnsteinmetzen usw. mit neuer Arbeit zu versorgen. Nicht zu vergessen die Urinprobenarchivare, die die Konservierung des getesteten Sportlerharns besorgen, damit man, wie es ja jetzt wegen THG tatsächlich gemacht wird, gegebenenfalls später noch mal dran schnüffeln kann.

Eines aber ist ja wohl so klar wie Säuglings-Pippi: Würde Doping abgeschafft, verlören all diese Antidoping-Fachkräfte ihre Arbeit. Desgleichen selbstverständlich, wenn Doping freigegeben würde. So gesehen scheint es doch das Gedeihlichste, man belässt alles im jetzigen Status des mehr oder weniger gebilligten Doping-Missbrauchs. Davon haben schließlich alle was. Eine typische Win-Win-Situation oder eher noch – gemessen nämlich an der Zahl der Gewinner – eine Win-Win-Win-Win-Win-Situation. Gewinner Nr. 1: die Doping-Dealer, die weiterhin ihre Abnehmer und somit ihr Auskommen haben. Gewinner Nr. 2: die Sportler, sofern sie sich nicht erwischen lassen. Nr. 3: die Doping-Kontrolleure, die ihre Arbeit behalten, so sie es nicht übertreiben. Nr. 4: die Sponsoren, die weiterhin die erwünschten Rekorde geliefert bekommen. Sowie Nr. 5: wir Zuschauer, die wir ebenfalls weiter auf unsere bestleistungsgeilen Erwartungen kommen, welche ja ums Verrecken niemals durch brave Breitensportler erfüllt werden, sondern nur durch geldgierige Rekord- und Siegertypen. Auch wenn es sich bei denen immer augenfälliger um chemisch aufgepumpte Muskelmaschinen oder sonstwie fit gespritzte Fleischklumpen handelt.