: Die gefräßigen Schwärme
Millionen Exemplare der afrikanischen Wanderheuschrecke fressen Mauretanien leer. Lange hatte man auf den Regen gehofft, doch mit ihm kam auch die Plage
BERLIN taz ■ Sie sind mehr als eine Plage. Sie sind ein Fluch. Obwohl weitestgehend aus der Berichterstattung verschwunden, fressen sich die afrikanischen Wanderheuschrecken durch Westafrika und haben nach Angaben der UN mittlerweile eine Fläche befallen, die doppelt so groß ist wie die Steiermark. Eine Hungerkatastrophe droht primär den Ländern Mauretanien, Mali, Niger und Senegal. Drei Jahre hatten sie mit der Dürre gekämpft. Dann kam der Regen und mit ihm die Heuschrecken.
Der Schwarm, der sich gerade dem Norden Mauretaniens nähert, soll eine Länge von 70 Kilometern haben. Außerdem wurden allein in Mali mindestens 80 Schwärme gesichtet, einer besteht aus über 100 Millionen Tieren. Die Regierungen der betroffenen Länder hätten die Katastrophe verhindern können. Die Bilder international betriebener Satelliten-Frühwarnsysteme ließen die Welternährungsorganisation (FAO) Alarm schlagen. Bereits Anfang Juli verließen die Insekten ihre angestammten Brutgebiete in Nordwestafrika. Bald darauf waren die ersten Schwärme in Marokko unterwegs. Vorsorge hätte 7,3 Millionen Euro gekostet, heißt es bei der UN. Doch manche Regierung hoffte, dass sich das Problem von alleine löse.
Wenn sie kommen, verdunkelt sich der Himmel, und bis zu 50 Millionen Tiere pro Quadratkilometer fressen, was sie finden. Eine Grille verspeist am Tag einmal ihr eigenes Gewicht, ein Schwarm die Nahrung von 2.500 Menschen. Erst wenn die Felder kahl sind, ziehen sie weiter.
Ein signifikanter Zusammenhang mit dem Klimawandel kann derzeit noch nicht bewiesen werden. Die Plagen entstehen durch mehrjährigen verstärkten Regenfall in den semiariden Brutgebieten der Tiere, wodurch die meist dürren Wüstengürtel ergrünen. Bleibt es trocken, sterben die meisten der Gelege mit circa 100 Eiern ab. Wird oder bleibt es feucht, schlüpfen fast alle Jungtiere und finden durch die reichlich vorhandene Vegetation genügend Nahrung. Frisch geschlüpfte Heuschrecken sind flügellos und können sich nur hüpfend fortbewegen. Der Einsatz etwa des Bodenpilzes Metarhizium anisopliae als biologisches Insektizid, der aktiv in die Tiere einwächst und zu einer Art Mumifizierung führt, ist nur in diesem Stadium möglich. Der allerdings ist teuer und schwer zu lagern.
Erst nach der fünften Häutung sind die Tiere flugfähig. Schwarmbildungen entstehen bei einem rasanten Anwachsen der Populationsdichte und einer zunehmenden Verknappung des Nahrungsangebots. Treffen sich erwachsene flugfähige Tiere häufig, wird der Schwarminstinkt ausgelöst, der mit morphologischen Umformungen einhergeht. Die Flügel der Tiere wachsen und befähigen sie zu weiten Flügen.
Die Insekten nutzen atmosphärische Luftströme, indem sie sich mit dem Wind in Höhen von bis zu 3.000 Metern hinaufschrauben, um dann in der Atmosphäre mit wenig Eigenenergieverbrauch weitertransportiert zu werden. 1988 wurde erstmals ein Schwarm beobachtet, der in wenigen Tagen den Atlantik überquerte. STEFANIE WERNER