Ja zu Studiengebühren – jetzt!

VON CHRISTIAN FÜLLER

Heute wird das Wintersemester angepfiffen. Kein Geringerer als Dr. Markus Merk, Deutschlands bester Schiedsrichter und Weltmeisterschaftsteilnehmer, wird an der Freien Universität Berlin zu 5.000 Studenten sprechen. Der schmächtige Merk – promovierter Zahnmediziner – wird den angehenden Akademikern Ähnliches sagen wie sonst seinen Fußballmillionären: „Mit Leistung und Fairplay zur akzeptierten Persönlichkeit“ lautet der Titel seiner Vorlesung.

Keine schlechte Idee. Denn die Studierenden müssen jetzt sehr tapfer sein. In wenigen Wochen steht beim Bundesverfassungsgericht ein Urteil an, das die Republik fieberhaft erwartet: Karlsruhe entscheidet, ob Studieren bald wieder Geld kostet. Seit 1970 – damals wurde das berüchtigte „Hörergeld“ abgeschafft – ist das nicht mehr so. Aber diverse Bundesländer haben in den vergangenen Jahren gegen dieses Studiengebührenverbot geklagt. Am 9. November beginnt die Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht – am Ende könnte das Verbot fallen. Klingt bedrohlich? Eigentlich müsste den Studierenden nicht bange sein. Im Gegenteil: Jetzt eröffnet sich eine historische Chance, die es zu ergreifen gilt.

Jahrelang haben sich die Studentenvertreter in ihren Asta-Trutzburgen verschanzt. Oder sich in viel beklatschten Anti-Gebühren-Demos verkämpft – die am Tag danach niemanden mehr interessierten. Aber jetzt könnten die Studenten endlich einmal selbst die Regeln bestimmen. Sie sollten Ja zu Studiengebühren sagen – unter einer nicht verhandelbaren Prämisse. Dass sie, die Studierenden, alle Macht über sie bekommen. Meint: Die Studierenden erheben die Studiengebühren, sie kontrollieren sie – und setzen sie gezielt für die Verbesserung der Universitäten ein.

Klingt utopisch? Ein Modell für die studentische Gebührenregie gibt es bereits. Es entstand am Küchentisch einer Studenten-WG in Witten in Nordrhein-Westfalen und rettete der dortigen privaten Uni das Leben. Die Elemente des Modells: Das Geld wird erst nach dem Studium fällig. Eine „StudierendenGesellschaft“ nimmt es ein – um es dann in die Hochschule zu kanalisieren. Eine ähnliche Konstruktion wäre auch bei staatlichen Universitäten denkbar, meint nicht nur der ehemalige Präsident der Rektorenkonferenz, Klaus Landfried. Studiengebühren sollten, so sagt er, „nicht an den Staat fließen, sondern am besten an einen Trägerverein der Absolventen und Studenten. Die Studierenden könnten dann dafür sorgen, dass die von ihnen erhobenen Beiträge wieder zu ihrem Nutzen in die Unis zurückfließen.“

Das hat sich in der Studierendenschaft allerdings noch nicht herumgesprochen.

Stattdessen setzten die üblichen Asta-Verdächtigen am 9. November wieder einmal auf Protest. Weil dann zufällig auch „Tag der offenen Tür“ am Verfassungsgericht ist, wollen die Studierenden nach Informationen der taz „vor Ort auf gewisse Dinge hinweisen“. Mit anderen Worten: Die Studierenden wollen den roten Roben Druck machen, damit die das Gebührenverbot nicht kippen. Besonnene mühen sich noch hinter den Kulissen, die aufgebrachten Studentenvertreter vom Schlimmsten abzubringen. „Es wäre ziemlicher Quatsch, das Verfassungsgericht beeinflussen zu wollen“, sagt etwa Nele Hirsch vom Studentendachverband fzs, dem „freien zusammenschluss der studierendenschaften“.

Ohnehin wirken die Drohgebärden der Studierenden hohl. Denn das Bezahlstudium ist doch längst da. Wer sich die Tabelle aus den Bundesländern von Bayern bis Thüringen und den Gebührenabarten von der Langzeitgebühr bis zur Strafgebühr fürs Studieren in der Fremde (Hamburg, bald Bremen) ansieht, kann mühelos erkennen: Kein Land macht’s mehr ohne Abkassieren. Eigentümlich ist all diesen Gebühren, dass sie zu staatlicher Misswirtschaft und zu sozialen Verwerfungen geführt haben. Die Langzeitgebühren in Baden-Württemberg etwa, schon 1998 verwirklicht, haben tausende sozial benachteiligter Studis aus den Hochschulen getrieben – viele kurz vor dem Examen.

Von den Gebühren sehen die Hochschulen indessen keinen Cent. „Lasst die Finger von Gebühren“, rät daher ein einflussreicher Landesfinanzminister in vertrauter Runde, „meine Beamten haben mir schon vorgerechnet, wie viel wir den Unis dafür abziehen können.“ Würde eine professionelle studentische Organisation die Studiengebühren erheben und steuern, gäbe es einen solchen Automatismus nicht ohne weiteres.

Dabei wäre es kein kleiner Betrag, der durch Studiengebühren für die rund 300 deutschen Hochschulen mobilisierbar wäre. Zwar ließe sich das geschätzte jährliche Finanzierungsdefizit von knapp 10 Milliarden Euro (im Vergleich zu anderen OECD-Staaten) nicht gänzlich schließen. Aber eine gute Milliarde Euro jährlich würden laut einer Modellrechnung des Wittenberger Hochschulforschers Peer Pasternack zusammenkommen – bei einer Gebühr von 500 Euro pro Semester.

Pasternack geht davon aus, dass 10 Prozent der rund 2 Millionen eingeschriebenen StudentInnen vor den Gebühren fliehen würden, indem sie die Hochschulen verlassen. Weitere 30 Prozent würden, aus sozialen Gründen, nicht zur Kasse gebeten. Abzuziehen wäre zudem der Verwaltungsaufwand. „Folglich blieben circa 1,1 Milliarden Euro als effektive Jahreseinnahme aus Studiengebühren“, berechnet Pasternack – der übrigens selbst ein strikter Gebührengegner ist. Man müsse sie schon vor den Finanzministern verstecken, sagt er, wenn man sie für die Verbesserung der Unis retten wolle.

Aber sind die Studierenden überhaupt in der Lage, die Mammutaufgabe Gebührenverwaltung zu schultern? Das wären sie. Weitgehend unbemerkt von der großen Öffentlichkeit ist eine Garde politischer Unternehmer in den Hochschulen herangewachsen. Es sind junge Wissensmanager wie etwa Christoph Ripp. Der 27-jährige Wirtschaftsinformatikstudent ist Vorsitzender des Verwaltungsrats des Studentenwerks in Köln – eines der größten in Deutschland. „Es gibt Studierende, die mit Millionenbeträgen umgehen können“, sagt Ripp ganz gelassen, „das kann reizvoll sein.“ Allein in Nordrhein-Westfalen sind sechs StudentInnen Oberchefs lokaler Studentenwerke. Wie Ripp sind sie allerdings prinzipielle Gegner von Studiengebühren.

Das Ziel solcher politischer Unternehmer ist es eher, die Studierenden dadurch mündiger zu machen, dass sie die für Mensen, Wohnheime und Beratung zuständigen Studentenwerke übernehmen. Ihr Einwand gegen ein Selbstmanagement von Gebühren sind die gigantischen Summen. Allerdings: Auch die Studentenwerke sind Herr über ein Budget von über 1 Milliarde Euro – ziemlich genau jenem Betrag also, den Studierende im Fall der Fälle unter ihren Fittichen hätten.

Gerade Menschen, die Jahre in Uni-Gremien verbracht haben, hoffen: Als Gebührenmanager würden die Studierenden einen professionalisierenden Schub bekommen. Auch Studierende sind inzwischen davon überzeugt, dass ihresgleichen mehr Verantwortung gut täte. „Wenn die Studierenden ernsthafte Rechte der Selbstverwaltung hätten, dann würden sie endlich auch nicht mehr als Klüngelhaufen wahrgenommen“, sagt Heiner Fechner, einer der profiliertesten Hochschulpolitiker unter den deutschen Studierenden. „Man ist erwachsen – und wird auch so behandelt.“