: Weleda im Land der Plaste und Elaste
Marienhöhe, Hauteroda, Christengemeinschaft: Auch im Arbeiter-und-Bauern-Staat gab es Anthroposophen. Doch außerhalb der Kirchenmauern blieb für die Aktivisten bis zur Wendezeit meist nur die private Nische
Weleda-Produkte mögen in das Land der Plaste und Elaste nur im Westpaket gekommen sein. Doch in Sachen alternativer Pädagogik und Anthroposophie war die DDR kein weißer Fleck auf der Landkarte. Zwar waren Waldorfschulen bis 1989 nicht erlaubt. „Die schulische Erziehung der Jugend ist ausschließlich Angelegenheit des Staates“, hieß es im DDR-Schulgesetz. Eine Ausnahme bildete jedoch der Religionsunterricht. Der fand nicht nur in Verantwortung der Gemeinden statt, sondern auch außerhalb des Schulgebäudes.
Über die anthroposophisch orientierte „Christengemeinschaft in der DDR“ konnten so auch andere Erziehungsansätze verwirklicht werden. Nicht nur im Unterricht, sondern auch auf Ferienfreizeiten gab es Eurythmie, Singen und Musizieren, das Einüben von Märchen- und Weihnachtsspielen. Die Eltern diskutierten in kirchlichen Gesprächskreisen waldorfpädagogische Fragen. Wie in anderen oppositionellen Kreisen zirkulierte Literatur aus dem Westen, in diesem Fall von anthroposophischen Verlagen. Sogar Waldorflehrer aus dem „nichtsozialistischen Ausland“ traten als Referenten auf. „Erstaunlich viel geschah im Schutz des religiösen Milieus“, findet Bernd Warczak, in der Wendezeit Mitgründer einer Waldorfschule in Rostock.
Anthroposophische Ansätze gab es aber auch in der Behindertenpädagogik. Im thüringischen Hauteroda machten sich in den Siebzigerjahren einige Aktivisten daran, unter der Schirmherrschaft der evangelischen Stephanus-Stiftung leerstehende Häuser in ein anthroposophisches Kinderheim umzubauen. Enge staatliche Vorgaben machten das Projekt jedoch äußerst schwierig. Seit Anfang der Neunzigerjahre ist die Dorfgemeinschaft Teil der heilpädagogischen Camphill-Bewegung. In einem umgebauten Gutshof betreibt man verschiedene Werkstätten und mittlerweile auch einen landwirtschaftlichen Betrieb nach Demeter-Richtlinien. Vor kurzem kam sogar eine eigene Bio-Molkerei dazu.
Die biologisch-dynamische Landwirtschaft existierte in der DDR eigentlich nicht. Nicht nur das „Junkerland“ kam in Bauernhand, die Kollektivierung betraf relativ bald alle Landwirte. Trotzdem überlebte mitten im industrialisierten LPG-System ein kleines gallisches Dorf: das Gut Marienhöhe in Brandenburg, ganz in der Nähe von Bad Saarow. Der älteste Demeter-Hof Deutschlands wurde schon Ende der Zwanzigerjahre von Erhard Bartsch, einem Freund Rudolf Steiners, gegründet. Da Bartsch Österreicher war, bestand der Hof auch nach der DDR-Gründung weiter, denn Grundbesitz von Ausländern konnte nicht so einfach enteignet werden. Die Existenz im Arbeiter-und-Bauern-Staat sicherte sich die Marienhöhe durch den Anbau von Schnittblumen, die zwischen Elbe und Oder eine begehrte Mangelware darstellten. Erst nach der Wende konnte man den Betrieb wieder auf eine breiter angelegte ökologische Landwirtschaft umstellen.
Außerhalb solcher Oasen blieb für anthroposophische Lebensentwürfe in der DDR nur die ganz private Nische. Erst in den letzten Jahren der DDR gab es nach und nach auch Aktivitäten außerhalb des kirchlichen Rahmens. In Potsdam etwa trafen sich seit 1985 die Mitglieder eines „geisteswissenschaftlichen Arbeitshalbkreises“ in Privatwohnungen, argwöhnisch beäugt von der Staatssicherheit. Im Wendejahr waren viele Anthroposophen im Neuen Forum aktiv, in Magdeburg brachte man zum Beispiel am runden Tisch eigene „Arbeitsthesen für eine bedürfnisorientierte assoziative Wirtschaft“ ein, inspiriert von Rudolf Steiners Schriften zur Dreigliederung des sozialen Organismus. Zu den Forderungen gehörte neben einer menschengemäßen Architektur, genossenschaftlich organisierten Betrieben und der Förderung ökologischer Landwirtschaft auch die „finanzielle Grundsicherung“ für alle. Mit dem raschen Ende der DDR im Herbst 1990 musste man jedoch ähnlich wie die anderen Bürgerrechtler die Idee eines dritten Weges zwischen Ost und West wieder begraben.
Immerhin hatte man aber nun dieselben Möglichkeiten, die es auch in der Bundesrepublik gab. So etwa im Bildungswesen. Viele Elterninitiativen mündeten im Wendejahr in Gründungsvereine, die Waldorfschulen und Kindergärten aus der Taufe hoben. Man bekam Anschubhilfe aus dem Westen, setzte aber dank der Vorwendeaktivitäten auch auf eigenes Know-how. Mittlerweile gibt es zwei Dutzend Waldorfschulen in Ostdeutschland. Nur Lehrerseminare bleiben zwischen Elbe und Oder bis auf weiteres noch Mangelware. ANSGAR WARNER