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Archiv-Artikel

Licht und Schatten

Der neue Parcours „Die Rücken der Bilder“ der Hamburger Kunsthalle fördert falsche Zuschreibungen und echte künstlerische Entdeckungen zutage

Ach ach – es ist inzwischen ja selbstverständlich geworden, aber im Grunde hat man natürlich kein Anrecht: darauf, pausenlos die Schau- und Schokoladenseite von Bildern und Skulpturen gezeigt zu bekommen, als seien sie ohne Mühe entstanden und im Übrigen geschichts- und spurenlos. Und wer weiß – vielleicht ließen sich nie gekannte Besucherströme organisieren, ein Von-Unten-Protest der neuen Art, erdreistete sich ein Museum auch nur ein einziges Mal, ausschließlich die Rückseiten seiner Kunstwerke zu zeigen: Ein Aufschrei würde vermutlich durch die Hallen gehen, das – nicht presserechtlich gedeutete – Recht am Bild würde womöglich postuliert.

Das Verschweigen, die Pause, das Nicht-Hören, das Nichtzeigen – die Moderne hat es längst zur Maxime erhoben: Jochen Flinzer etwa spielt schon lange mit dem Vorder- und Rückseiten-Mythos, indem er schamlos Verwirrung schafft und es dem Kurator überlässt, über die Hängung zu entscheiden.

Wie aber, wenn man etwa Gemälde des Mittelalters ausschließlich rückwärtig präsentierte, auch die Vorderansicht Rembrandts dem Betrachter vorenthielte? Zur Vision und zum Detektivtum müsste sich dann der Besucher entschließen – und auf eben jener detektivischen Tätigkeit der Hamburger Kunsthalle basiert ein jüngst geschaffener „Parcours“ mit dem Titel „Die Rücken der Bilder“: Ute Haug, verantwortlich für das dortige Provenienzprojekt, hat die Ausstellung angeregt und dabei Verschiedenstes zutage gefördert: die punktgenaue Überprüfung der Holzart von Bild und Rahmen etwa, die auf den Entstehungsort eines Werks verweist, zumal bis ins 16. Jahrhundert hinein vorrangig auf Holz gemalt wurde, das natürlich aus der unmittelbaren Umgebung stammte. Eine feine, an romanische Kassettendecken erinnernde Parkettierung weist z. B. die Rückseite von Arnold Böcklins „Heiligem Hain“ auf – eine Technik, die das Verziehen des Holzes minimieren sollte.

Aufkleber, die auf Stationen des Bildes verweisen, sind auf anderen Gemälden zu finden, wobei durchaus von Bedeutung ist, ob sie auf der Bildrückseite oder dem Zierrahmen platziert wurden: Letztere können zwischenzeitlich ausgetauscht worden sein und so auf falsche Fährten führen. „Paul Rembrand“ (!) steht zum Beispiel auf Rembrandts „Simeon und Hanna im Tempel“ – eine nachweislich falsche Notiz, die „immer auch den den Wissensstand der damaligen Zeit spiegelt“, wie Ute Haug betont.

Andere Künstler haben – auch aus Geldnot – bewusst beide Seiten von Holz, Leinwand oder Papier genutzt. Und ist es wirklich immer notwendig, zwischen Licht- und Schattenseite zu unterscheiden? „Auch die kunsthistorische Einschätzung kann sich hier ändern“, sagt Ute Haug.

Und dann gibt es noch jene KünstlerInnen, die selbst über die Ansicht ihrer Werke entschieden: Ernst Ludwig Kirchner z. B. hat – einmal vertikal, einmal horizontal – einen Weiblichen Akt und Holzfäller auf die beiden Seitenen einer Leindwand gemalt, ohne sich zu entscheiden: als künstlerisch gleichwertig werden beide Gemälde auch von Experten betrachtet; die Hamburger Kunsthalle präsentiert das Bild als frei stehende Skulptur, die umwandert werden kann. Karl Schmidt-Rottluff dagegen hat die Rückseite seiner Atelierpause genau definiert, und das dort gemalte Bild mit kräftiger Signatur überschrieben. Vielleicht hätte er es am liebsten versteckt – so wie es die Eigentümerinnen jener Medaillen taten, die eben nicht die Ehefrau des Schenkers, sondern die Geliebte darstellten. Einige solcher Medaillen des 18. und 19. Jahrhunderts zeigt die Ausstellung. Sorgsam wurden sie vor kleine Spiegel gehängt – und stellen so subtil die Frage nach dem Leben hinter den Spiegeln, zwischen den (Bedeutungs-)Ebenen. Antonio Consetti (1686–1766) etwa hat seinen Zusammengesunkenen Greis auf bedruckte Blätter aus einem geistlichen Erbauungsbuch gemalt – eine nicht nur oberflächlich deutbare frühe Collage, die bewusst Schrift und Bild verquickt.

Petra Schellen

Parcours: Die Rücken der Bilder. Hamburger Kunsthalle; Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr; bis 17.4.2005