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Archiv-Artikel

Ein Hoch der Buche

Endlich wird der stolzeste aller Bäume einmal in höchsten Tönen gelobt

Ich könnte es mir einfach machen und mit vier Zeilen aus dem „Reiselied“ Joseph von Eichendorffs die Sache ein für alle Mal erledigen: „Durch Feld und Buchenhallen, / bald singend, bald fröhlich still, / recht lustig sei vor allen, / wer’s Reisen wählen will“. Wenn nämlich einer schon so heißt, mit nachweislichem Waldesfühlen ausgestattet war und somit allen Grund gehabt hätte, eine andere Waldesfrucht zu loben, diesen Adel indessen der Hallenkönigin des Oberholzes, der Buche, zukommen lässt, dann ließe sich an diesem Beispiel schon erkennen, woher der Dichter den Vers holt. Nach drei Jahren Pisakrise nämlich müssen wir endlich Fakten sprechen lassen: Jede Buche, die aufrecht in deutschen Forsten steht, hat mindestens die mittlere Reife, ist zweisamig aufgewachsen und hat überwiegend sogar das Baumschulabitur bestanden. Gerader Wuchs und saubere Blattform voller Feinripp-Herzlichkeit, Anstand im Umgang mit anderen Gehölzen prägen das Wesen der Buche.

Nicht umsonst bringt daher der Dichter diesen Baum wie selbstverständlich mit dem Reisen in Verbindung. Der Eichendorff’sche Vers wird heutzutage in jeder x-beliebigen Fußgängerzone von acht Uhr morgens bis abends 20 Uhr brüllend bekräftigt! Denn wo steht nicht überall an Schaufenster verzweifelt hingepinselt oder drangeklebt der unstillbare Wunsch zu lesen: „Buchen sofort!“ oder „Unbedingt noch heute Buchen“. Nach welchem anderen Baum schrie die Seele des urbanen Menschen derart laut und buchenstaben? Drängt es ihn etwa vergleichbar stürmisch zum Besuch des Eichamts oder gar zum Kieferorthopäden? Mitfichten … ääh – mitnichten! Aber Buchen wollen sie alle und Frühbuchen noch viel lieber. Das hat unter anderem den Grund, dass die frühe Buche am liebsten mit Sanddorn, Weiß- und Mehdorn zusammensteht. Solch Sympathie und Symbiose ist selten sonst im Wald.

Bis in die höchste Weltliteratur hinauf schlägt das Lob der Buche zu Buche. Wie naiv zu glauben, Ernest Hemingway habe ernsthaft Schnee in Afrika gesucht! Es war das Schattendach der Buche, von dem er am Gipfel des Kilimandscharo träumte. Aber jenseits der Achtpromille-Schwelle vergisst man leicht, dass es oberhalb der Baumgrenze auch der treuste Freund des Försters schwer hat, mit den Trieben durch den Fels zu stoßen. So kam es weder zum Titel „Buchen am Kilimandscharo“ noch zu der Fortsetzung „Der alte Mann und die Blutbuche“. Denn dass sich der Gigantenzweikampf nicht im Wasser abgespielt haben dürfte, sondern zwischen Angelrute und zähem Buchengeäst – wer wollte daran zweifeln?

Sogar das schwerfällige Brüssel mit seinem unübersichtlichen Kommissionsgestrüpp musste vor Monaten einsehen, dass der Buche nicht nur mit Lippenbekenntnissen gehuldigt werden sollte, sondern am besten mit einem Nationalpark, in dem nur Buchen stehen. Südöstlich des Edersees fand sich schließlich im so genannten Kellerwald der größte zusammenhängende Bestand Europas und ließ sich gern auch öffentlich als solcher bezeichnen. Letzte Fichtenreste werden dort mittlerweile mit gezieltem Borkenkäfereinsatz flachgelegt. Das ständige Bemühen dieses nimmersatten Käfers um die Herbeiführung der gleichsam Heidegger’schen Lichtung dient also nur der Schaffung neuer Buchenpracht.

Man könnte es auch so ausdrücken: die Buche ist als Baum das genaue Gegenteil der Hyäne. Jene steht stolz und aufrecht im Wald, diese aber schräg und heimtückisch in der Savanne, die Buche sucht ihr Wachstum im Himmel, während die Hyäne wühlend sich im Aas verbeißt – mehr Gegensatz ist kaum noch möglich. Von der Hyäne aber schreibt schon der Physiologus gemäß Mose Buch 5; 14, 8, indem er sie gleichermaßen mit dem Schwein wie mit dem Klippdachs verwechselt: „Iss nicht die Hyäne und nichts, was ihr gleicht.“ Um wie viel schmackhafter muss deshalb ein Buchenblättchen in den Kauwerkzeugen eines Maikäfers munden?

Und wo wir schon beim Essen sind: Auch unser neu ernannter Bundes-Köhler Hotte hat schon seit damals, als er noch in seinem Meiler wohnte und manchen Kursrausch ausschlief, das unverwechselbare Buchenaroma schätzen gelernt. Von irgendetwas Geistlichem muss er ja schließlich auch das leicht Angewölkte in seinen Augen haben. Und nun lädt er jeden ersten Donnerstag im Monat zum gemütlichen Gruppenkoksen in sein Berliner Schloss. Dann ist im Fagusstübchen Buchenabend angesagt, und alle, alle kommen. Dann wird gekokelt, bis die Hirnrinde kracht – und selbst gelernte Alt-Waldschrate wie Gerhart Baum und Burkhard Hirsch sind stolz, zu den Stammgästen zu zählen. Selbst der Eichel-Hans darf da nicht fehlen. Auch wenn allen klar ist: Schon rein buchungstechnisch wird das mit dem wohl nie was …

REINHARD UMBACH