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Archiv-Artikel

Zypern wird zur Gretchenfrage

Brüssel macht den EU-Beitritt der Türkei vom Zypernproblem abhängig. EU-Kommissar Günter Verheugen kritisiert zudem die fehlende Umsetzung der Reformgesetze

ISTANBUL taz ■ Die türkische Presse wartete gestern mit alarmierenden Schlagzeilen aus Brüssel auf. Zypern, so hieß es, wurde an die erste Stelle des EU-Fortschrittsberichts zur Türkei 2003 geschoben. Und das, obwohl doch die Lösung der Zypernfrage gar nicht Bestandteil der Kopenhagener Kriterien sei, deren Einhaltung die EU von allen Beitrittskandidaten fordert. Laut Medienberichten hatte der türkische Außenminister Abdullah Gül im Gespräch mit dem für die Erweiterung zuständigen EU-Kommissar Günter Verheugen vergeblich darauf gedrängt, dass im Fortschrittsbericht kein Zusammenhang zwischen einer politischen Lösung auf Zypern und dem Beginn von Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei Ende nächsten Jahres gemacht wird.

Die Zypernfrage, so Verheugen bereits in mehreren Vorab- Interviews zum diesjährigen Fortschrittsbericht, könnte für die Türkei zu einem „ernsten Hindernis für den Beginn von Beitrittsgesprächen“ werden.

Außer dem Komplex, der sich nun mehr und mehr in den Vordergrund schiebt, kritisiert die EU-Kommission vor allem die mangelnde Umsetzung der in den letzten Monaten verabschiedeten Reformgesetze. Auf dem Papier seien sie hervorragend, nun müsse die Türkei aber beweisen, dass sie auch gesellschaftliche Realität würden, heißt es in Brüssel. Dabei werden insbesondere drei Komplexe hervorgehoben: die konsequente Ahndung von Folter, die Wahrnehmung kultureller Rechte für die kurdische und die christlichen Minderheiten sowie die Durchsetzung des Primats der Politik gegenüber dem Militär. Verheugen monierte konkret, auch nach den Reformen könne das Parlament das Militärbudget nicht wirklich kontrollieren, trotz der neuen Gesetze sei die Ausstrahlung kurdischer Fernsehsendungen nach wie vor nicht möglich und auf Polizeiwachen werde immer noch gefoltert, ohne dass die Justiz dagegen vorgehe.

Stattdessen würden die Gerichte die Reformgesetze oft sehr restriktiv auslegen. Als Beispiel dafür nennt Brüssel den Fall Leyla Zana. Die Verurteilung der ehemaligen kurdische Abgeordneten wegen „Kollaboration mit der PKK“ sei zwar aufgehoben worden, doch in dem neuen Verfahren gehe das Gericht nun genauso unfair und voreingenommen vor wie in dem Prozess vor neun Jahren.

„Ein Teil der Bürokratie und des Machtapparates“ so Verheugen, „vollstreckt den Willen des Parlaments einfach nicht.“ In Ankara ist man sich dieses Problems durchaus bewusst. Ministerpräsident Tayyip Erdogan und Außenminister Gül haben eine hochrangige Kommission eingesetzt, die nun die „Implementierung“ der Gesetze überwachen soll. Doch das erweist sich als hartes Brot, wie das Beispiel kurdischer Sprachkurse zeigt. Bisher sind alle neu gegründeten kurdischen Sprachschulen daran gescheitert, dass untergeordnete Behörden einen Dreh fanden, die Eröffnung zu verbieten.

Selbst als es einer Schule in dem überwiegend kurdisch bewohnten Batman gelang, den Unterricht zu beginnen, war nach wenigen Tagen wieder Schluss. Die Baubehörde stellte fest, dass die Türen zu den Klassenzimmern nicht der Normbreite entsprachen. Nachdem nun noch einmal der Maurer da war, konnte die Schule gestern endlich als erste den Betrieb aufnehmen. JÜRGEN GOTTSCHLICH