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Archiv-Artikel

„white flag“ ist schon jetzt der hit des jahres 2004 Dido: Das Comeback der Schnulze

Die Britin Dido Armstrong ist momentan die heißeste Ware auf dem internationalen Musikmarkt. Ihr Song „White Flag“ rehabilitiert das Genre der verträumten Mädchenmusik

Von JAF

In den einschlägigen CD-Kaufhäusern war man schon Mitte September leicht genervt. Immer wieder musste die Frage beantwortet werden: „Wann kommt denn die Neue von Dido?“. Das war die Zeit, als ihr Song „White Flag“ bei MTV und Viva auf Heavy Rotation lief, der Kundennachfrage wegen. Und doch lautete die ermüdende Antwort stets: Sie kommt erst Ende des Monats. Und als es Didos zweite Produktion unter dem Titel „Life for rent“ („Leben zu mieten“) tatsächlich am 25. September zu kaufen gab, griffen Hunderttausende zu. Vor allem die Singleauskopplung – jener Song über die weiße Fahne, die sie hissen werde, weil ihre Liebe zum Angebeteten zwar glühender denn je funkele, sie diese Liebe aber durch (nicht näher bestimmte) Gemeinheiten vorher gegen die Wand gefahren habe – diese Single avanciert zum Hit des Jahres.

Aber wer ist diese Sängerin, die mit schönem Londoner Mittelschichtsenglisch singt und in den Videoclips aussieht wie die etwas pummelige Nachbarin? Eine 31-Jährige, die garantiert im rat race um den schönsten Typen nicht mal ignoriert würde. Unauffällig scheint ihr Äußeres, ihr Haar frisurenlos, ihr Gesicht bar aller Schminke, ihre Bewegungen posenarm. Sie heißt Dido Armstrong, wurde von ihren Eltern, einem Literaturagenten und einer Gelegenheitslyrikerin mit ausreichend finanziellem Polster, fernsehlos aufgezogen und stattdessen in den Blockflötenunterricht geschickt.

Musik blieb ihre Passion, freilich nicht die einzige. Nach einem Besuch der honorigen Guildhall School of Music stornierte sie ihre beruflichen Perspektiven im Musikbereich und studierte Jura. Doch als sie bei Sessions ihres Bruder Rollo, Macher der Band Faithless, zuhörte, stand sie plötzlich selbst vor dem Mikrofon im Background. Vielleicht, um es doch im Popgeschäft zu etwas zu bringen, denn, so sagt sie: „Erfolg ist wichtig, nie habe ich etwas angefangen, ohne Erfolg haben zu wollen.“

Und in diesen Worten ist eine Haltung der Entschlossenheit geborgen, die man der Sängerin kaum zutraut: So eine ist souverän, weil sie um ihr Können weiß – und weil sie mit Frauen nicht konkurrieren würde, denn sie hat es wohl nicht nötig. „No Angel“ hieß ihr erster, durchaus programmatischer Hit, der erst nach Europa kam, als Amerika ihr schon zu Füßen lag, als der Rapper Eminem ihren Song „Thank You“ in seine Geschichte von „Stan“ einsampelte.

Dido singt schön, klar und berührend – und doch nicht süßlich allein, denn in ihrem Timbre lauert eine Kühle, die auf ein balanciertes Selbstvertrauen schließen lässt. Dass man eine wie sie brauchte, um sie gegen überkandidelte Bitches des Pop wie Britney Spears, Kylie Minogue oder Christina Aguilera zu positionieren, um die Marktlücke zu füllen, das war dann nur noch Marketing.

Jungs finden Musik wie die von Dido natürlich doof und mädchenhaft. Aber sie kaufen ihre Songs – herzergreifende Botschaften in der Kategorie der Sing-a-songwriter-Schnulze – dennoch: Es ist ja auch die schlüssigste Eintrittskarte in jene Herzen, die sie erobern wollen. JAF