: Regenerationsfähig?
Die „europäische Stadt“ aus Bremer und Oldenburger Perspektive: Reinhard Strömer über Walter Siebels Sammelband
Dieses Buch gehört in die Handbibliothek all derer, denen aus beruflichem oder privatem Interesse an Bremens Zukunft gelegen ist. Es macht mit guten und theoretisch anspruchsvoll begründeten Argumenten Hoffnung, dass die nur in Europa realisierte Stadtform, für die Bremen geradezu als exemplarisch gilt, überleben wird.
Walter Siebel, Professor an der Uni Oldenburg, eine international renommierte Koryphäe der deutschen Stadtforschung [und gerade zum Mitjuror über die „Kulturhauptsatdt Europas“ 2010 berufen, die Red.], hat über 30 namhafte Autoren aus dem In- und Ausland eingeladen die Chancen und Risiken zu beschreiben, die der rasante gesellschaftliche, ökonomische und soziale Wandel zurzeit für die europäischen Städte bringt – den sie aber auch gestalten können.
Siebel begründet sein Vertrauen in die Regenerationsfähigheit der europäischen Stadt mit der „kulturellen Kraft der europäischen Urbanität“, eine Ressource, auf die auch die Bewerbung Bremens zur Kulturhauptstadt Europas als Teil der bremischen Modernisierungsstrategie setzt. Diese Kraft speist sich aus produktiv genutzten Differenzen: zwischen Gegenwart und Vergangenheit, sozialer Distanz und räumlicher Nähe, privatem und öffentlichem Leben. Die europäische Stadt trägt ihre inneren Widersprüche konstruktiv aus und hält damit einen Horizont von Möglichkeiten offen, um das Ziel, das am Anfang ihrer Geschichte stand – die Emanzipation aus Not, Unfreiheit und Ungerechtigkeit – auch unter schwierigen Rahmenbedingungen weiter fortzusetzen. Europäische Modernisierung umfasst Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zugleich – eine Quadratur des Kreises.
Besonders anregend: Albrecht Göschel vom Deutschen Institut für Urbanistik beschreibt die Inszenierungen von Identität durch das Stadtmarketing. Die Kommunen fingieren Heimat – allerdings um den Preis der Abschottung. Aber auch Göschel hegt Hoffnung mit Blick auf die neuen sozialen Bewegungen, die zwar konkret vor Ort arbeiten, aber die Welt gleichwohl im Blick behalten. Im „Viertel“ dürfte er sich ohne Vorbehalte zu Hause fühlen.
Wie die Fiktion öffentlicher Beteiligung benutzt werden kann, um für die Durchsetzung ökonomischer Interessen Legitimation zu schaffen, belegen Elizabeth Strom und John Mollenkopf in ihrem Vergleich von städtebaulichen Planungsprozessen in Berlin und New York. In beiden so unterschiedlichen Städten – Marktdominanz in den USA, Primat der Politik in Deutschland – setzen sich letzten Endes die privaten Unternehmen durch. Hiervon sollen die in der Öffentlichkeit geführten Debatten vor allem ablenken.
Drei Aufsätze befassen sich mit einer Entwicklungsperspektive, von der öffentlich zu sprechen in der Mehrheit der westdeutschen Kommunen (wider insgeheim besseren Wissens) noch als purer Defätismus gilt: die „schrumpfende Stadt“. Karl Dieter Keim deutet auf Grund ostdeutscher Erfahrungen diesen Prozess als Chance zur Regeneration um. Voraussetzung ist allerdings, dass die Bürger in selbststeuernden Prozessen an dem notwendigen Wandel mitwirken.
Die „kreative Stadt“ untersucht Ilse Helbrecht in ihrem Beitrag „Denkraum Stadt“. Neues Wissen entsteht sowohl durch soziale Interaktion als auch durch das besondere schöpferische Vermögen Einzelner. Die „Brutstätten“ und „Besessenen“ aus Bremens Kulturhauptstadt-Bewerbungsschrift lassen grüßen und erhalten sozialwissenschaftliche Weihen.
„Die Europäische Stadt“ beschreibt ihren Gegenstand nicht nur, sondern gehört ihm insofern an, als die Autoren ihre Offenheit für eine (Fach-) Grenzen überschreitende Kommunikation – die „kulturelle Kraft europäischer Urbanität“ – dokumentieren. Walter Siebels Einleitung zu dem Band, in dem er die unterschiedlichen Beiträge aufeinander bezieht, lässt die Autoren gleichsam so offen miteinander sprechen, wie es in Europas Städten immer noch möglich und mehr denn je nötig ist.
Walter Siebel (Hrsg.): Die europäische Stadt, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2004, 480 S., 16 €