: Die DDR-Doktrin hallt bis heute nach
Die Projekte aus den neuen Bundesländern machen eine „neue, gefährliche Form“ von Antisemitismus aus. Diese wurzelt auch in der Ideologie der DDR. Denn dort galt Israel als kapitalistischer Vorposten der USA
Angesichts dessen, dass sich neuerdings Big-Brother-Insassen mit antijüdischen Witzen unterhalten und auf der Frankfurter Buchmesse islamistische Bücher explosiven Inhalts gebilligt werden, scheint Handeln dringend geboten.
„Die Erfahrung unserer Bildungsarbeit ist, dass es eine neue, gefährliche Form von Antisemitismus gibt“, sagt Marion Wartumjan vom Volkshochschulverband Mecklenburg-Vorpommern. Dieser neue Antisemitismus setze sich aus den alten Formen zusammen. Demnach gibt es nicht nur ein rechtes Feindbild vom Juden. In Ostdeutschland sei, so die Expertin, vor allem die linksgeprägte Vorstellung verbreitet, die den Juden als Wucherer und kolonialen Unterdrücker versteht.
Unter Federführung der Amadeu Antonio Stiftung hat sich in den vergangenen Jahren ein Netzwerk verschiedener Projekte gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus in Ostdeutschland gebildet.
Denn gerade hier herrscht laut der Vorstandsvorsitzenden Anetta Kahane dringender Handlungsbedarf: „In der DDR galt Israel als kapitalistischer Vorposten der USA. Damals wurde deutlich zum Israel-Hass aufgerufen.“ Diese Doktrin hallt noch nach und äußert sich immer wieder in Schmierereien, Friedhofsschändungen und Übergriffen auf Juden.
So wurde dieses Jahr in ganz Sachsen-Anhalt auf elf Friedhöfen randaliert. In Halle waren zwanzig Stolpersteine, die an deportierte und ermordete Juden erinnern sollten, nur einen Tag nach der Verlegung restlos verschwunden. „Wir setzen den Schwerpunkt auf solche aktuelle Erscheinungsformen des Antisemitismus“, erklärt Steffen Andersch vom Alternativen Jugendzentrum Dessau. Dort gibt es etwa am 4. November einen Vortrag zur Frage „War die DDR judenfeindlich?“. Schließlich hatten vormals die Funktionäre Gedenken einzig für kommunistische Antifaschisten verordnet.
Andersch erinnert daran, dass Antisemitismus in Dessau – der Stadt, in der in der Nazizeit das Gift Zyklon B für die Gaskammern produziert wurde – unter Hammer und Sichel nie thematisiert wurde. Anetta Kahane redet diesbezüglich sogar von einer „zweiten Elimination des Judentums durch Verschweigen“. Als Folge davon hätten Lehrer und Erzieher teilweise heute noch fragwürdige Einstellungen gegenüber Juden.
Matthias Müller von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Thüringen beteiligt sich mit Info-Veranstaltungen in Weimar, Sondershausen oder Gotha an den Aktionswochen. Kernprojekt ist die Wanderausstellung „Aktueller Antisemitismus in Deutschland“, die am 10. November in Jena zu sehen ist. „Wichtig ist Aufklärung jenseits von staatstragender Erinnerung“, so Müller. Die Ausstellung gastiert ab 30. Oktober in Sebnitz, mitten im Rechtsradikalen-Revier der Sächsischen Schweiz.
„Wir müssen für eine neue Generation ein neues Geschichtsbewusstsein erarbeiten“, sagt Anetta Kahane. Ihre Stiftung arbeitet daran, ihr Netzwerk auch auf die alten Bundesländer auszudehnen. CHRISTINE KEILHOLZ