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Archiv-Artikel

Nur Mutti darf mächtig sein

Frauen in der Politik fehlt nicht der Wille zur Macht, sondern deren Aura. Weil es noch keinen weiblichen Siegertypus gibt, ertragen wir eine mächtige Frau bisher nur als Göttin oder Mutter

VON CHRISTIAN SCHNEIDER

Manche gingen schon vor ihrer Handtasche auf die Knie. Wie Maggie Thatcher, der erste weibliche Regierungschef Europas, ihre immer ein bisschen zu groß dimensionierten Taschen bei öffentlichen Auftritten als Kommunikationsmittel und Waffe nutzte, war schlechterdings meisterlich. Das von Männern gern verlachte Accessoire wurde unter ihrer Regie Symbol allweiblicher Überlegenheit: Mit der Handtasche im Arm war Frau Thatcher zugleich (demokratische) Kleinbürgerin, (feudale) Lady, und vor allem: strenge und fürsorgliche Mutter, die Urikone ewiger Macht. Ihre Handtasche war Hort eines Geheimnisses, sie enthielt Lippenstift und Marschallstab: unauffällige Insignie der Frauenpower in einer männlichen Domäne.

Die Urikone Mutter

Macht, so wissen wir seit Max Weber, hängt mit der Fähigkeit zusammen, Gehorsam zu erzwingen. Auch wenn die, die bei uns Macht haben, es nicht gerne aussprechen. Gehorsam und Zwang – das passt nicht recht ins Bild einer Demokratie. Die heute nach Macht und Führung streben, wollen überzeugen, durch – so heißt es – Authentizität und die Kraft des Wortes wirken. Demokratie und der zwanglose Zwang des besseren Arguments: das scheint ein untrennbares Pärchen. Kommunikationspsychologen können darüber nur den Kopf schütteln. Wenn es darum geht, die Umwelt zu beeinflussen, veranschlagen sie den Inhalt unseres Redens auf kümmerliche sieben Prozent, 38 Prozent gingen aufs Konto der Stimme, und die absolute Mehrheit von 55 Prozent falle der Körpersprache zu. Entscheidet also letztlich doch „der Bauch“ darüber, wem wir Macht einräumen?

Beim Wahlkampf 2002 jedenfalls muss Angela Merkel mit zusammengekniffenen Lippen verfolgt haben, wie Edmund Stoiber, dem die „Körpersprache eines norwegischen Findlings“ bescheinigt wurde, sich vor den Kameras präsentierte. Sie hatte damals schon fleißig trainiert, Kompetenz auszustrahlen, aber ihre eigene Körpersprache stand noch sichtbarer als heute unter dem Verdikt ihres politischen Lehrers Kohl, der sie als „das Mädchen“ bei den Medien bekannt gemacht hatte. Zu Beginn ihrer politischen Karriere war das ein Vorteil: Die Mischung aus Schüchternheit und Ossi-Rotzigkeit kam an. Aber heute? „Gegen den Fuchs Erdogan hat sie wie ein kleines, eingeschüchtertes Mädchen gewirkt“, notierte ein kritischer TV-Seher nach Angela Merkels Frühjahrsbesuch in der Türkei. Genau darum geht es, seit sie als Kanzlerkandidatin gehandelt wird: Kann denn ein „Mädchen“ die Bundesrepublik angemessen vertreten?

Angela Merkel hat die Mädchenjahre merklich hinter sich gelassen – und es nicht geschafft, sich mit der Aura der Mutter zu umgeben. In ihrem Auftritt drückt sich das als fader Kompromiss aus: „Merkels Körpersprache ist frei von auffälligen Signalen. Eigentlich ist sie eine graue Maus. Dadurch wirkt sie aufrichtig und authentisch, und man merkt mit keinem Moment, wie machtorientiert sie eigentlich ist“, sagt die Expertin Nadine Knoth. Das klingt nach einem Vorteil, ist aber de facto das Gegenteil, wenn es darum geht, das höchste politische Amt zu erobern. Denn von der Person, die „uns“ in aller Welt vertritt, verlangen wir, ob wir das zugeben oder nicht, die Aura der Macht. Diese kann, siehe Thatcher, höchst unterschiedliche Erscheinungsformen haben, nur eins darf nicht sein: Nie darf es so wirken, als sei die Macht etwas, das man verstecken müsse.

Die Aura der Macht

Alle Kanzler der Republik waren selbstsichere Repräsentanten der Macht. Wenn Angela Merkel im Hosenanzug ans Redepult tritt, dann wirkt es immer noch so, als würde sie sich um den Posten einer Schulsprecherin bewerben. Am besten ist sie, wenn sie motzt, aber Motzen ist der Gestus des Underdog. Sie strahlt Ehrgeiz aus, aber damit ist kein Gehorsam zu erzwingen. Der Pantomime Samy Molcho hat beobachtet, dass Merkel in Momenten höchster Anspannung gerne mit Daumen und Zeigefinger eine Pistole imitiert. Das wirkt nicht wie selbstbewusste Machtdemonstration, sondern wie Schüsse aus dem Hinterhalt. Es entspricht dem Klischee der Frau, der „in Notwehr“ alles zuzutrauen ist.

Ein Hauptproblem aller Frauen in der Politik ist: Es gibt keine genuine Ikonografie des weiblichen Siegers. Wenn, dann nur als Idealgestalt: als Göttin, nicht als Mensch. Der Spiegel hat jüngst Merkels bekanntes Siegesbild vom Leipziger Parteitag als Titel gebracht: Die Vorsitzende als Videogroßbild über den Häuptern der CDU-Landesfürsten. Was da mit jenseitigem Lächeln und leicht abgespreizten Armen zu triumphieren scheint, hat wenig mit einer wirklichen Frau zu tun: Es ist die Imago eines realitätsenthobenen Engels. Vielleicht ertragen wir mächtige Frauen nur so. Oder eben als Mütter.