: Ein schöner Tag
Der VfL Wolfsburg demontiert die Bayern. Dennoch lässt sein Trainer keinen Zweifel aufkommen, wie eng es an der Spitze der Bundesliga zugeht
AUS WOLFSBURG PETER UNFRIED
Wo hat man zuvor schon mal so ein Tor gegen den FC Bayern München gesehen, wie es Grafite mit der Hacke erzielte? Eins ist sicher: in Wolfsburg nicht. Daher und angesichts des Endergebnisses von 5:1 lautet die Frage seither: Ist der neue Tabellenführer VfL Wolfsburg auf dem Weg zur Meisterschaft? Die Frage stellen wir zunächst zurück zugunsten einer anderen: Ist der FC Bayern etwa nicht auf dem Weg zur Titelverteidigung? Platt gesagt: Wenn er so spielt, wie in der VW-Arena, dann auf keinen Fall. Gentner (44.), Dzeko (63., 66.), Grafite (74., 77.) trafen für die Wölfe, Toni (45.) traf für die Bayern.
Wenn man den Bayern-Mythos mal beiseite ließe, dann müsste man sagen, den Bayern ging es in Wolfsburg nicht anders als zuvor schon anderen Teams, die irgendwann nicht mehr mithalten konnten. Aber noch ist Bayern München etwas Besonderes und daher hat VfL-Trainer Felix Magath schon recht, wenn er sagt, es sei ein „ungewöhnlicher Tag“ gewesen, „für uns – und den FC Bayern.“ So hoch verlor Bayern zuletzt 2002. Im Duell zwischen punkt- und torgleichem Herausforderer und Titelverteidiger war der VfL eine Hälfte das schwächere Team. In der zweiten Hälfte begann der VfL Zweikämpfe zu gewinnen und das Spiel in den Griff zu bekommen. In der letzten halben Stunde kam die bekannte Laufstärke und Physis voll zum Tragen: Das Team war nicht mehr zu halten.
Jedenfalls nicht von den Bayern, bei denen die Verletzung von Innenverteidiger Lucio wohl tatsächlich der „Schlüsselmoment“ war, den auch Trainer Jürgen Klinsmann ausmachte.
Die mangelnde Spielpraxis des jungen Innenverteidigers Breno wurde in der Folge bei mehreren Treffern offenkundig. Wer aufgrund der Doppeltorschützen Dzeko und Grafite sowie der drei Assists von Spielmacher Misimovic nun das nächste Loblied auf das sogenannte „magische Dreieck“ des VfL ausruft, liegt nicht ganz falsch. Grafite ist Toremacher Nummer 1 der Liga (20 Treffer), Misimovic der beste Vorbereiter (17 Assists), und beide überstrahlt Edin Dzeko, der jetzt auch schon 15 Saisontore hat. Dennoch ist das Trio-Geschwätz ein gedanklicher Anachronismus aus Zeiten der Fixierung auf Heldenfußball. Denn es heißt, Christian Gentner außen vor zu lassen, den kommenden Nationalspieler, der das vorentscheidende 2:1 initiierte, zudem ein Tor und einen echten Assist verbuchte. Nicht zu vergessen den brasilianischen Kapitän Josue, der das Spiel gewann, weil er sich gegen van Bommel und Zé Roberto durchsetzte.
Sicher aber wird das 5:1 von Grafite im kollektiven Gedächtnis bleiben als Moment des ultimativen Triumphs und der ultimativen Demütigung: Er zog an Ottl und Lell vorbei, umkurvte Keeper Rensing, hielt dann inne, weil ihm den Ball „zwischen den Füßen hängenblieb“, wie er hinterher erklärte. Und dann? „Dann musste ich es halt mit der Hacke machen.“ Bayern-Manager Uli Hoeneß blickte danach so angestrengt in den Himmel, als erwarte er die Rückkehr jenes Balles, den er 1976 in Elfmeterschießen des EM-Finales in die Wolken geschossen hatte.
Von den Bayern sprach in Wolfsburg keiner – außer dem Trainer. Der ließ weder unsachlichen Ärger raus über die groben Fehler der Bayern-Profis bei der Rückwärtsbewegung und im Zweikampfverhalten, noch ließ er sich pieksen von Magaths fein gesetzten verbalen Nadelstichen gegen seinen vormaligen Arbeitgeber. Selbst die von vielen Beobachtern als grobe Unsportlichkeit verstandene Einwechslung des Wolfsburger Ersatztorhüters sei „schon in Ordnung vom Felix“ gewesen. Am Mittwoch steht für die Bayern das nächste Spiel der Spiele an, das Champions-League-Viertelfinale beim FC Barcelona. Barca sei „schwer, aber machbar“. Dafür spricht derzeit wenig und braucht es vor allem auch Franck Ribéry. Der war in Wolfsburg genauso wenig im Spiel wie Schweinsteiger. Ganz zu schweigen von Podolski. Was nun die Meisterschaft betrifft, so zieht Magath seine Kommunikationsstrategie auch nach dem 8. Sieg in Folge durch und versichert, dass „der 5. Platz unser Ziel bleibt“. Es ist tatsächlich verdammt eng an der Spitze. Aber einen Superlativ muss man schon bemühen dürfen: Dieses 5:1 gegen Bayern ist bis auf Weiteres der größte Tag in der 12-jährigen Bundesligageschichte des VfL Wolfsburg. Die Frage ist nun: Für wie lange?