Ein Straßenköter und Lebenskünstler

Jugend liest: In Kinderbüchern wimmelt es von Tieren. Für die Eltern ist das praktisch – schließlich sind sie zur Tierliebe verdammt

Hunde, Katzen, Hamster, Spinnen, Papageien sind wahre Spalter. Sie treiben einen Keil zwischen Eltern und Kinder. Denn Kinder lieben Haustiere, und Eltern hassen es, das Katzenklo sauber zu machen. Nur dürfen Eltern das nicht so laut sagen. Denn für Kinder sind Eltern, die keine Tiere mögen, fast noch schlimmer als Eltern, die keine Kinder mögen. So kommt es, dass Eltern zur Tierliebe verdammt sind, und da ist es doch ein Trost, wenn sie ihre Liebe zur Abwechslung auch mal in Form von Kinderbüchern zeigen können.

Kinderbücher stinken nicht und machen keinen Dreck, sie brauchen keine Urlaubsvertretung und kein Kittekat Gourmet light mit Vitamin E extra, man stellt sie einfach ins Regal und weg sind sie. Kinderbücher sind einfach praktisch, auch wenn es in ihnen mehr von Tieren wimmelt als im Zoo. Denn die einzigen, die Tiere noch mehr lieben als Kinder, sind die Kinderbuchautoren. Eisbären, Braunbären und kleine Bären, Raupen und Schweinchen, Mäuse und Katzen, Fische und Tiger – wer einmal die Arche Noah live erleben möchte, sollte unbedingt eine Kinderbuchabteilung besuchen.

Natürlich ist es aus Sicht der Eltern, die diese Bücher für viel Geld kaufen oder bei den Großeltern erbetteln müssen, ärgerlich, dass in ihnen immer nur aus der Perspektive des Tieres erzählt wird und nie aus der Sicht des Katzenkloputzers oder Gassigehers. Trotzdem wachsen ihnen diese Bücher, die sie jahrelang repetieren wie andere das Glaubensbekenntnis, letztlich ans Herz. Selbst nach zig Jahren krieg ich zum Beispiel noch eine Gänsehaut, wenn ich an Wolf Erlbruchs jackentaschengroßes Bilderbuch „Zehn kleine Heringe“ denke. Als Tierzeichner ist Erlbruch übrigens bis heute unschlagbar: Selbst einen Bären kann man ihm nicht übel nehmen, so unkuschelig und trotzdem warmherzig kriegt Erlbruch den hin.

Allerdings gibt es auch nirgends so viel Schrott wie unter den Tierbüchern. Da vergisst man leicht, dass es zu den respektablen Literaturtraditionen zählt, die Welt aus der Sicht eines Tieres zu beschreiben. Zwei Autoren, die an diese Tradition anknüpfen, sind Graciela Montes aus Argentinien und Patrice Nganang aus Kamerun. Schon dass Hunde in diesen Ländern eher als hungernde Streuner denn als übergewichtige Kuscheltiere ihr Leben fristen, gibt den Geschichten einen eigenen Klang. Und so erzählt Montes’ Straßenköter vor allem davon, wie man sich mit Witz durchschlägt und trotz Hunger zum Lebenskünstler wird. Patrice Nganang hingegen lässt seinen Hund einen tiefen Blick in die afrikanische Misere werfen – nicht gerade jugendfrei allerdings und leider auch ziemlich schlecht übersetzt. Kein Jugendroman im eigentlichen Sinne ist das, aber einer, den Jugendliche trotzdem gut lesen können, weil Nganang toll erzählen kann und man tatsächlich ein bisschen zu verstehen beginnt, wie Menschen so ganz und gar anders als in Europa leben können. ANGELIKA OHLAND

Dolf Verroen, Wolf Erlbruch: „Ein Himmel für den kleinen Bären“. Aus dem Niederländischen von Marcel Glück. Carl Hanser Verlag, München, Wien 2003, 12,90 €ĽGraciela Montes: „Schlappohr. Abenteuer eines Straßenhundes“. Mit Bildern von Nina Spranger. Aus dem argentinischen Spanisch von Ilse Layer. Beltz & Gelberg, Weinheim und Basel 2003, 145 Seiten, 14,90 €ĽPatrice Nganang: „Hundezeiten“. Aus dem Französischen von Gudrun und Otto Honke. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2003, 292 Seiten, 19,90 €