: Die Ostkurve macht in Fatalismus
Der erste Heimsieg nach 168 Tagen, endlich mal eine gute Hertha-Nachricht? Nein. Nach dem Heul- bleibt immer noch der Spielkrampf. Dieser Verein quält. Darüber kann auch das 2:1 gegen Borussia Mönchengladbach nicht hinwegtäuschen
von MARKUS VÖLKER
Frage: Der Sieg über Borussia Mönchengladbach, der erste Heimsieg nach 168 Tagen, ist das eine gute Nachricht? Gegenfrage: Ist die Meldung, Hertha BSC habe zuletzt einen Rekordumsatz von 63 Millionen Euro zu verzeichnen, positiv zu werten? Antwort: Nein. Weil die Verbindlichkeiten des Vereins nämlich nur um läppische 100.000 Euro auf 16,8 Millionen reduziert werden konnten. Sportlich sieht es ganz ähnlich aus. Das 2:1 klingt erst nach Rekordumsatz. Ein Blick weiter eröffnet aber schon die Szenerie der Beklemmung.
Dieser Verein quält. Er quält sich und die Zuschauer. Das Spiel ist hundsmiserabel. Nicht zum Anschauen. Die Ostkurve scheint sich mit dem Zustand der Ausweglosigkeit abgefunden zu haben. Sie unterlässt neuerdings sogar die rituellen Anfeindungen gegen Trainer Huub Stevens. Im Fatalismus erstickt die Wut, im Über-sich-ergehen-lassen wird selbst der raunzige und leicht erregbare Hertha-Anhänger zum handzahmen Paladin des Präsidiums. Wie könnt ihr denn, ihr Buntkutten und Fahnenschwenker, wie könnt ihr den Verein angreifen, der euch ein und alles ist! Hugh, Dieter Hoeneß hat gesprochen.
Nebenbei herrscht im zugigen Olympiastadion eine gefühlte Temperatur von minus fünf Grad. Die Baustelle wird und wird nicht fertig. Was ist das also für ein Verein, der auf die Leidensfähigkeit derer setzt, die aus Gründen diffuser Loyalität den Kick in Blauweiß konsumieren? Ist der Klub sadistisch veranlagt? Allein die Schose um den Trainer. Herrje. Sprachregelungen wie „ultimative Vereinbarung“ haben Hertha BSC lexikalisch interessant gemacht, aber den Verein als Fußballunternehmen angekratzt. Die Parteien haben sich abgewascht, der Heulkrampf ist vorbei (der Spielkrampf geht weiter) und übrig bleibt ein schaler Nachgeschmack.
Und dann kommt dieser Alexander Madlung daher, köpft zum 2:1 ein und macht das kleine herthanische Gesamtkunstwerk der Leidensinduktion zunichte. Das Glück kommt zum Tüchtigen, hat Stevens nachher aufgeklärt. Nur: Warum war das Glück, diese Schicksalskraft, den Berlinern nicht in der krisenumtosten Vergangenheit hold, zu einer Zeit, als die Tüchtigkeit eine Tugend aus Charlottenburg war – weil jeder Spieler noch eine Schippe, respektive Grätsche draufzulegen versprach, sobald er der elf Feinde gewahr wurde.
Dieter Hoeneß ist an diesem Samstag nicht entgangen, dass die Auflaufberechtigten „zu wenig Fußball gespielt“ hätten, und hat das Match folgerichtig unter „Kampfsieg“ rubriziert. Auch der Trainer, der ultimative Huub, hatte „wieder eine Verunsicherung gesehen“. Im zweiten Abschnitt sah der fast geflogene Holländer eine Mannschaft, die „besser gespielt“ habe. Muss an seinem Beobachtungsplatz gelegen haben. Von der Bank verbannt, verbrachte Stevens den Nachmittag auf der Tribüne und funkte mit einem Walkie-Talkie Anweisungen an den Kotrainer.
Der Legende nach soll er fernmündlich die Einwechslung des Spielers Madlung angewiesen haben. Nach 15 Sekunden wuchtete dieser den Ball in die Maschen. Gäste-Coach Holger Fach hatte dafür eine einleuchtende Erklärung: „Wenn man Angst hat und sich in die Hose scheißt, so einen zu nehmen, dann ist es schwierig, in der Liga zu bleiben“, sagte er. Wer so etwas sagt, kann kein böser Mensch sein. Wie jeder Herthaner auch. Das Gutmenschliche ist dem Präsidenten ja ein Anliegen, unterlegt von dem Imperativen: „Sei authentisch!“, „Gib dem Trainer eine Chance!“ und „Wir quälen euch bis auf die Knochen mit unserm drögen Kick!“ Da sind wir doch wieder gern dabei, wenn es in drei Wochen heißt: Hertha BSC gegen Schalke 04.