: Haushaltsnotlage oder Störung
Der Senat hat mehrere Möglichkeiten, die überhöhte Neuverschuldung zu begründen
Der rot-rote Senat muss heute einen Misstrauensantrag überstehen. Danach aber beginnt erst die finanzpolitische Arbeit, die sich aus den Folgen des Verfassungsgerichtsurteils ergibt. Künftig muss der Haushalt verfassungskonform aufgestellt werden. Seit 1993 waren übrigens fast alle Haushalte verfassungswidrig, weil die Höhe der Neuverschuldung die Ausgaben für Investitionen überstieg.
Dies wurde nur nicht publik, weil niemand Klage einreichte und weil bei der Haushaltsaufstellung geschönte Zahlen, etwa über zu erwartende Veräußerungsgewinne, zugrunde gelegt wurden. Das Verfassungsgericht lässt nun zwei Ausnahmesituationen zu, in denen eine erhöhte Neuverschuldung gerechtfertigt erscheint: entweder zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, das aus dem „magischen Viereck“ aus Wachstum, Beschäftigung, Preisstabilität und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht besteht, oder wegen einer extremen Haushaltsnotlage.
Zunächst muss sich der Senat also entscheiden, auf welche Ausnahme er sich berufen will. Die Störung des wirtschaftlichen Gleichgewichts dürfte wegen der hohen Arbeitslosigkeit und der aüßerst schwachen Konjunktur unschwer zu begründen sein. In diesem Fall müsste der Senat laut Urteil aber erklären, wie die erhöhte Kreditaufnahme zur Abwehr der Störung verwendet wird. Dabei gibt es einen breiten Interpretationsspielraum, der von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bis hin zu Wissenschaft und Kultur als positiven Standortfaktoren reichen könnte.
Beruft sich der Senat auf die extreme Haushaltsnotlage, könnte die Begründung für manche Ausgabepositionen schwer fallen. Denn in diesem Fall dürfte die Neuverschuldung nur dafür verwendet werden, „bundesrechtlich festgelegte sowie auf landesverfassungsrechtlichen Vorgaben beruhende Ausgabeverpflichtungen“ zu leisten, heißt es im Urteil. Im Klartext: gezahlt wird nur, was vorgeschrieben ist, etwa bei den Kitas.
Allerdings wies bereits Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) darauf hin, dass der Begriff „landesverfassungsrechtliche Vorgabe“ interpretierbar sei. Die Zahlen seines Haushaltswerkes seien konkret, Verfassungsbegriffe jedoch nicht. Und für den Grünen-Haushaltsexperten Jochen Esser steht fest: „Das Urteil ist nicht das Ende der Politik.“ Es setze aber Senat und Opposition unter einen verstärkten Begründungszwang. RICHARD ROTHER