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Archiv-Artikel

Heftiger Schmerz in der Schulter

Klaustrophobischer Katastrophenalarm: Einfahren in die Kernspintomographenhölle

An die Tunneldecke, gleich über meinen Augen, hat jemand Bilder mit Tierbabys geklebt

Der Kopfhörer passt mir nicht. „Macht nichts“, sagt die Frau in Weiß, „es geht auch ohne. Drinnen ist es sowieso so laut, da hilft der Kopfhörer auch nicht wirklich.“ Dann drückt sie mir einen Gummiball in die rechte Hand, aus dem ein Kabel führt. „Falls Sie sich unwohl fühlen, einfach drauf drücken“, sagt die Frau in Weiß, „dann holen wir Sie sofort heraus.“

Das Gestell, auf dem ich liege, setzt sich langsam in Bewegung, und Kopf voran fahre ich in die enge Röhre ein. Der Gummiball beginnt, an meiner Hand zu ziehen, das Kabel muss wohl irgendwo festhängen. Ich lasse den Ball los, um nichts kaputt zu machen. So fahre ich weiter in die Röhre, nun ohne Verbindung zur Außenwelt. Ich bin froh, dass wenigstens Klaustrophobie nicht zu meinen Neurosen gehört.

Wie es doch so kommen kann: Eben erst hat der Kernspintomograph den Nobelpreis gewonnen, und schon liege ich drin. Meine Schulter hat mich hierher geführt, widerliche, atemberaubende Schmerzen verursacht sie seit ein paar Wochen. Wie immer dachte ich zuerst, das geht von selber wieder weg und nahm Schmerztabletten in Dosierungen, die meine Leber und Nieren für immer transplantations-ungeeignet machten, aber es half nichts. Und so ging ich zum Hausarzt und begehrte eine Salbe, und der meinte: „Ab in die Röhre!“

Ist das lieb! An die Tunneldecke, gleich über meinen Augen, hat jemand Bilder mit Tierbabys geklebt, kleine Hasen, kleine Hunde, ein Meerschweinchen und wuschelige Pinguine. Meine Gefährten für die nächsten 20 Minuten. Es herrscht nun Ruhe, das Liegegestell hat mich an die richtige Position gebracht. Ich entspanne und harre der Dinge.

Die kommen dann auch in Form eines infernalischen Gehämmers, das – wie ich grob mitzähle – mit 240 Beats pro Minute jeder Technodisco zur Ehre gereichen könnte. Innerlich schreie ich nach Kopfhörer und Gummiball, aber es bleibt ein innerlicher Schrei, wer sollte mich hier auch hören? Nach ein paar endlos langen Minuten ändern sich Takt und Lautstärke.

Impingementsyndrom nennt man das, was bei mir gefunden wird. Durch Alterung und Verschleiß hervorgerufene Reizungen und Entzündungen von Sehnen und Nerven. Was kann man dagegen machen? „Operieren“, sagt der Kernspindoktor, „aber wenn ich ehrlich bin: Ich kenne keinen Fall, der dadurch wirklich geheilt wurde.“

Mein Hausarzt setzt am nächsten Tag noch einen drauf. „Sie wollen von mir einen Orthopäden empfohlen bekommen? Das ist nicht Ihr Ernst. Ich kenne nicht einen guten Orthopäden! Praxis für Orthopädie und Pathologie sollte bei denen auf den Schildern stehen!“ Zuletzt rückt er dann doch mit einem Namen raus, der Einäugiger unter Blinden sein soll, und dort rufe ich an und sage, was mich quält. „Dann gebe ich Ihnen einen Termin für die nächste OP-Sprechstunde“, sagt die dortige Frau in Weiß. OP-Sprechstunde? „Aber ja, das muss operiert werden.“

Meine regelmäßig einzunehmenden Medikamente auf dem Tisch füllen inzwischen den Brötchenkorb, was aber nicht so schlimm ist, denn Brötchen sind eh ungesund. Jedes dieser Medikamente hat seine Berechtigung, ich bin kein Hypochonder. Vielleicht beobachte ich mich etwas genauer als andere Menschen. So wie vor einigen Wochen, da sitze ich im Büro – und plötzlich denke ich: Jetzt hat es mich erwischt. Unvermittelt ist es da. Ein hohes, leises, permanentes Pfeifen im rechten Ohr. Wenn ich den Kopf nach rechts drehe, verstärkt es sich. Wenn ich aufstehe, wird es leiser und geht dann ganz weg. Bis ich mich wieder hinsetze. Sofort beginne ich, mir ernste Sorgen zu machen. Ich kannte jemanden, der hatte Tinnitus, er gab diesem einen Namen – Klaus-Bärbel – und sprach mit ihm, bis er Hodenkrebs bekam. So will ich nicht enden.

Ich schaue mich um. Das Pfeifen verfolgt mich. Ich sehe mir alles um mich herum an, als sei es das letzte Mal. Ich sehe auch die vorhin angebrochene Flasche Cola Light, die rechts neben mir auf dem Schreibtisch steht, ich sehe die kleinen Bläschen, die sich an der Oberfläche der Brause sammeln. Dann drehe ich den gelockerten Schraubverschluss fest zu. Noch mal Schwein gehabt, so wie damals im Krankenhaus. Einen Halswirbel hatte ich mir verrenkt, der Kopf ging nicht mehr geradeaus, er wurde mir im Hospital wieder zurecht gerückt. Fünf Tage musste ich „zur Beobachtung“ da bleiben, und man belehrte mich, ich solle genau beobachten, ob es in Fingern oder Zehen kribbeln würde oder ob diese sich dunkel verfärben würden, dann solle ich sofort einen Arzt informieren. Am vorletzten Tag saß ich morgens im Aufenthaltsraum, und da sah ich dass meine Fingerspitzen schwarzblau verfärbt waren. Ich rannte zum Arztzimmer und schlug Alarm, die Ganzkörperlähmung vor Augen. Der Arzt sah sich die Finger an, dann musterte er mich eingehend und schweigend und stellte dann endlich die Diagnose: „Wie ich sehe, hatten Sie heute schon die Tageszeitung in der Hand. Stand was Besonderes drin?“

RENO SCHMITTCHEN