„Migration ist Normalität“

Christoph Butterwegge, Professor für Politikwissenschaft in Köln und Mitglied der Forschungsstelle für Interkulturelle Studien (FiSt), zum Thema Medien und Migration

taz: Berichten die Medien heute differenzierter über Migration als noch vor ein paar Jahren?

Christoph Butterwegge: Einerseits ist die Sensibilität vieler JournalistInnen gewachsen. Andererseits suchen manche Medien immer noch die Tatsache zu bestreiten, dass Deutschland längst ein Einwanderungsland ist, und machen mit Erfolg Stimmung dagegen.

Tendieren Lokalzeitungen eher zu Vorurteilen als überregionale Medien?

Nein, das kann man gewiss nicht sagen. Vielmehr sind auch in Magazinen wie Stern, Spiegel und Focus alarmistische Tendenzen und deutliche Ablehnung gegenüber einer multikulturellen Gesellschaft spürbar.

Können sich kleinere Zeitungen überhaupt entziehen, wenn Leitmedien wie der „Spiegel“ ein Thema dramatisieren?

Durchaus. Sie stehen zwar unter einem gewissen Zwang, das Thema aufzugreifen. Aber sie können den Diskurs beeinflussen und entdramatisieren. Nehmen Sie die Koftuchdebatte: Da wurde in den meisten Medien durchaus differenziert berichtet.

Woran liegt es, dass die Hintergründe von Migration kaum beleuchtet werden?

Das liegt nicht zuletzt am wachsenden Druck auf die einzelnen JournalistInnen. Vor allem private Medien haben die Möglichkeiten zur sorgfältigen Recherche drastisch eingeschränkt. Das Diktat der Deadline und die Herrschaft von Auflagenhöhe und Einschaltquote führen gleichfalls zu einem plakativen Umgang. Besonders die Boulevardzeitungen stellen Migration als etwas dar, das wegen der damit verbundenen Belastung oder Bedrohung für Deutschland abzulehnen sei, oder als etwas, das nach Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten zu bewertet sei.

In Ihrem neuesten Buch schreiben Sie sinngemäß: „Je globalisierter die Welt, desto ethnisierter ist sie auch.“ Wie ist diese These zu verstehen?

Ethnisierung ist eine mögliche Reaktion auf Globalisierung. Teile der Gesellschaft, die sich als Verlierer der neoliberalen Modernisierung begreifen, wenden sich gegen die ökonomische Globalisierung und greifen dabei wieder auf einen völkischen Nationalismus zurück. Sie lehnen jede Zuwanderung ab und deuten ökonomische Konflikte als kulturell oder ethnisch bestimmt. Andere, die eher von der Globalisierung profitieren, vertreten einen Standortnationalismus und heißen Migration unter ökonomischen oder demografischen Gesichtspunkten gut. Beide Trends spiegeln sich – vielfältig gebrochen – in den Massenmedien wider.

Was sollten Journalisten bei der Berichterstattung über Migration beherzigen?

Sie sollten sich darüber klar sein, wie hoch brisant das Thema nicht nur in Wahlkampfzeiten ist. Sie dürfen nicht verschweigen, dass es durch Integrationsdefizite bedingte Negativeffekte für Migranten wie für die heimische Bevölkerung gibt. Vor allem muss Migration im Zeichen der Globalisierung als Normalität dargestellt und nicht nur dann akzeptiert werden, wenn daraus Vorteile für das Aufnahmeland erwachsen.

INTERVIEW: SEBASTIAN SEDLMAYR