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Archiv-Artikel

Kranke Schachteln

Alle Inhalte dieses Artikels richten sich ausdrücklich nur an Händler und Personen, die vom Gesetz her bereits Tabakprodukte konsumieren dürfen. Sollten Sie nicht konsumberechtigt sein, verlassen Sie bitte sofort diesen Artikel

Wirklich schön ist das nicht, so viel Steuergeld für Zigaretten auszugeben und sich dafür von EU-Gesundheitsministern als Sozialschädling beschimpfen lassen zu müssen („fügt Ihnen und Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu“). Ein zusätzliches „Vielen Dank, dass Sie mit dem unerschrockenen Kauf dieser Zigaretten den Sozialstaat oder was auch immer unterstützen – Ihr Hans Eichel“, wäre mal eine schöne Geste gewesen. Ein bisschen zumindest würde damit auch der markentreue Raucher für den Verlust eines identitätspolitisch nicht zu unterschätzenden Identitätszeichens entschädigt. Denn die Schachteln sehen ja nun wirklich nicht mehr gut aus. Geschichtliches ging verloren.

Bis zum 1. Oktober 2003 hatte die Camel-ohne-Schachtel, nur als Beispiel, mindestens 80 Jahre lang gleich ausgesehen. Sie ist auf einem der berühmtesten Gemälde der Neuen Sachlichkeit, Christian Schads „Sonja“ von 1928, zu sehen. Aber die Gegenpropaganda der Tabakindustrie, – „Raucher sind keine Melkkühe“ auf Schwarz-Rot-Gold – ist auch schauderhaft. Vor die Wahl gestellt, 30 Prozent der Vorderseite der Zigarettenpackung entweder für „Rauchen kann tödlich sein“ oder für „Raucher sind keine Melkkühe“ frei zu machen, würde man sich selbstverständlich für Ersteres entscheiden. Egal.

Eine Weile jedenfalls bemühte man sich noch, die aufdrucklosen Auslaufmodellschachteln zu kaufen. Als es von der eigenen Sorte keine mehr ohne gab, probierte man Exoten aus; Roth-Händle, HB Lights, Westpoint, Boston, schließlich komische Lidl-Sorten wie McCraw zum Beispiel. Alles halt, was noch keinen Aufdruck hatte, wobei McCraw, die einzige Lidl-ohne-Filter-Sorte, schon ziemlich krank aussieht. Vor allem wegen des Covers, auf dem ein Margarinewerbung-lookalike-Mann im hellen Pullover zu sehen ist, der an einem sonnenüberfluteten Kaffeehaustischchen sitzt und Latte Macchiato mit Zigarette raucht bzw. trinkt.

Es gibt unterschiedliche Methoden, mit der ästhetischen Verunmöglichung der Zigarettenbehälter umzugehen. Im Bekanntenkreis und auch bei eBay deutet sich ein Boom der Zigarettenetuiindustrie an. Die einen kaufen sich Etuis mit eingravierten Panzerhaubitzen (4,29 Euro), die anderen bevorzugen Hanf-, Pin-up-, Motorrad-, Auto- oder auch Zigarettenmarkenlogomotive. Vermutlich werden die EU-Gesundheitsminister demnächst beschließen, dass auch auf jedem Zigarettenetui Warnhinweise eingraviert werden müssen. Und dass das Überkleben von Warnhinweisen strafbar ist, und Tabakfachverkäufer dürfen einzelne Zigaretten nur noch nach „Beratungsgesprächen“ verkaufen, oder man raucht eine Zigarette und der Rauch formt ein … O je! Ach ja!

Widerstand formiert sich gegen die störenden Warnhinweise. Auf der Raucherbedarfswebseite der Firma Koka-Automaten.de wird „wrapsy®“ angeboten. „wrapsy®“ ist eine pfiffige Erfindung. „Die raffinierte Hülle aus Karton hat genau die Größe der neuen Warnhinweise und gibt der Zigarettenschachtel ein frisches, originelles Aussehen. Horoskope, coole Sprüche, Witze, Sex/Body und fantasievolle Szenemotive – das ist die Welt von wrapsy®.“ Das wird’s bringen.

DETLEF KUHLBRODT