Realitäts- und Lustprinzip des Kommunismus

Ein Kessel Linkes: In Frankfurt tagte ein Kommunismus-Kongress. Kann er für eine Alternative zum Kapitalismus stehen? Oder ist er nur noch Chiffre für die Sehnsucht nach dem Bruch? So suchte ein Milieu, dem die Rede über Besitzverhältnisse abhanden kam, nach neuer linker Selbstvergewisserung

von TOBIAS RAPP

Es gibt wirklich noch Leute, die Angst vor Kommunisten haben. Wolfgang Hübner etwa, Vertreter des rechten Bündnisses für Frankfurt in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung, sorgte in den vergangenen Wochen für einigen Wirbel, als er forderte, der Kongress „Indeterminate! Kommunismus“ müsse abgesagt werden, weil er eine „hochideologische Veranstaltung linksradikaler Köpfe“ sei. Die an der Organisation beteiligte Berliner Gruppe Kritik & Praxis strebe eine „kommunistische Weltordnung“ an, wollte Hübner herausgefunden haben. Zwar erreichte er mit seiner Forderung wenig mehr als Kopfschütteln bei den Mitgliedern der anderen Fraktionen und Heiterkeit bei den Besuchern der Veranstaltung. Eigentlich lag in dieser Reaktion aber schon ein Teil des Dilemmas des Kongresses.

Denn wofür ist ein Kommunismus gut, vor dem die Bourgeoisie keine Angst hat, vor dem das Kapital nicht zittert? Tatsächlich kam das Geld für den Kongress von der Bundeskulturstiftung, und Gerhard Schröder selbst, so erzählte man sich unter Berufung auf gewöhnlich gut unterrichtete Kreise auf den Korridoren der Konferenz, habe sich mächtig geärgert, dass ausgerechnet sein Laden einem Haufen Salonkommunisten das Geld hinterherschmeiße. Im Kanzleramt habe man einen ähnlichen Skandal befürchtet wie um die Berliner RAF-Ausstellung. Der Skandal blieb allerdings aus, auch weil sich Kritik & Praxis pro forma aus dem Kreis der Veranstalter zurückzog, bei der Kongressvorbereitung dabei blieben sie trotzdem. Aber wurde Karl Marx nicht gerade unter die zehn wichtigsten Deutschen gewählt?

Kommunismus also. Darum sollte es in Frankfurt gehen, dafür waren rund 80 Theoretiker und Künstler aus 14 Ländern angereist, dafür hatten sich einige hundert Besucher eingefunden. Allerdings nicht der Kommunismus der K-Gruppen und auch nicht der Kommunismus der langen Geschichte der Arbeiterbewegung. Auch Vertreter sozialer Bewegungen waren rar gesäht auf den Frankfurter Podien. Es war ein Kulturkongress, und mit Slavoj Žižek und Micha Brumlik waren zwei Theoretiker seine Stichwortgeber. Der eine wegen seines Buches über Lenin, der andere, weil er vor Jahren einmal auf einem Parteitag der Grünen dazu aufgerufen hatte, weniger über den Kommunitarismus und mehr über den Kommunismus nachzudenken.

Wie Realitäts- und Lustprinzip saßen die beiden zusammen auf dem Eröffnungspodium. Brumlik wollte nach dem millionenfachen Massenmord, der im Namen des Kommunismus im 20. Jahrhundert begangen worden war, keine Revolution mehr, sondern eine neue Sozialdemokratie im Sinne Bernsteins. Eine Sozialdemokratie, die sich der Frage stellt, wie unter den Bedingungen einer globalisierten Welt eine unmittelbare Bedarfssteuerung möglich gemacht werden könnte. Žižek rief dazu auf, sich am Lenin von 1914 zu orientieren und den Sprung nach draußen zu wagen. Hinein zu den Vergessenen, zu den Verlierern, zu den Protagonisten der Benjamin’schen Unterseite der Geschichte. Der Kommunismus besitze immer noch genug utopisches Potenzial. Žižek schwitzte und spuckte, fasste sich ans Hemd und rief, der Kommunismus könne doch kein Kapitalismus mit menschlichem Angesicht sein! Der Ausbruch sei eine Frage des Überlebens!

Damit waren die Pflöcke eingeschlagen, zwischen denen sich der Kongress bewegte. Denn tatsächlich hatte es die Einladungspolitik einigermaßen offen gelassen, welche Konnotationen des Begriffs Kommunismus denn angesteuert werden sollten: Ist er bloß eine Geste, freigegeben zur Dekonstruktion? Steht er für die Alternative zum Kapitalismus? Oder ist er nur Chiffre für das Bedürfnis nach einem radikalen Bruch mit dem Bestehenden? Meinen wir das alles ernst oder geht es um den Kommunismus als Gedankenspiel?

Einer der interessantesten Konflikte hatte im Vorfeld nicht nur die Vorbereitungsgruppen aus Frankfurt, Berlin und Düsseldorf aneinander geraten lassen. Die Wochenzeitung Jungle World hatte ihm kongressvorbereitend sogar eine lange Diskussionsreihe gewidmet: Kommunismus oder radikale Demokratie? Braucht man Ersteres überhaupt noch, wo das Konzept der Kaderpartei, die sich als revolutionäre Avantgarde begreift, lange gescheitert ist und einer Linken Platz gemacht hat, die eher der Vernetzungslogik von Bewegungen vertraut? Durch die Absage von Alex Demirović erübrigte sich die Beantwortung der Frage leider: Auf dem mit Axel Honneth und der Radical-democracy-Erfinderin Chantall Moufe prominent besetzten Podium stellte niemand mehr die Frage nach dem Markt oder nach dem Besitz der Produktionsmittel.

Passend zum Kongress befindet sich die Frankfurter Universität ja auch noch im Streik, was nicht nur dazu führte, dass das ganze Wochenende über ein penetranter Buttersäuregestank durch die Korridore zog, nein, als der hessische Ministerpräsident Roland Koch sich auch noch auf dem Unigelände zeigte, um eine Ausstellung zu eröffnen, kam es prompt zu Scharmützeln mit der Polizei. Heldenhaft wurden die Ordnungshüter in die Flucht geschlagen, was die Stimmung unter den Kongressbesuchern beträchtlich steigerte. Immer nur reden bringt’s ja auch nicht.

Nun waren ja nicht nur Vertreter der akademischen Linken zugegen, sondern auch die argentinischen Genossen der Gruppe Colectivo Situationes, die vom Stand der Dinge in Buenes Aires berichten sollten. Endlich mal Leute, die was tun! Was für schöne Stichworte man von ihnen hören konnte: „Aufstand neuen Typs“, „Destitution der politischen Mächte“, „Bewegung der Negation“, „das positive Nein“, „jeder Kampf eröffnet die Möglichkeiten neuen Denkens“. Ein reiches Begriffskompendium, auf das man das Begehren ausrichten konnte, das das K-Wort nach Frankfurt gelockt hatte.

Allein, weil dies nur wenig an die Erfahrungen angekoppelt war, aus denen die Slogans hervorgegangen sind, funktionierten Colectivo Situationes vor allem wie eine großartige Phrasenmaschine. Als sie auf Nachfrage, von was für Kämpfen sie denn eigentlich sprächen, erwähnten, es sei gelungen, in Argentinien ein Existenzgeld durchzusetzen, das darauf hinauslaufe, den Staat eine autonome Bewegung bezahlen zu lassen, musste man sich schon zusammennehmen, seinem Nachbarn nicht zuzuflüstern: genau wie der Kongress.

„Indeterminate! Kommunismus“ war ein wunderbarer Kessel Linkes, der zwar von einigen Fragen durchzogen wurde – radikale Demokratie oder Kommunismus?, wie steht’s eigentlich mit dem Verhältnis von Kultur und Politik?, was geht gerade so in Identitätsphilosophie und Postkolonialismus?, sollten wir nicht irgendwas tun? –, aber auf den ersten Blick etwas leicht Beliebiges hatte. Man nehme einen provokanten Begriff, lade alle möglichen Leute ein und lasse sie was dazu erzählen.

Da konnte Katja Diefenbach in einem Freestyle-Referat den Messianismus-Vorstellungen in den Gedanken so unterschiedlicher Linksabweichler wie den KP-Renegaten der Fünfziger, den italienischen Operaioisten der Siebziger und den „Empire“-Autoren Antonio Negri und Michael Hardt nachspüren. Im direkten Anschluss sprach dann der große amerikanische Marxist Moishe Postone über die politische Blindheit der US-Linken während des Golfkriegs, die zwar gegen den Krieg gewesen seien, aber keinerlei Vorstellung von Emanzipation für die arabische Welt hatten.

Doch schaute man genauer hin, tauchte hinter dem Eindruck der Beliebigkeit ein anderes Bild auf. Denn im Grunde handelte der Kongress von einem: Es war ein Versuch der Selbstvergewisserung eines Milieus, das in seiner Mehrheit nach dem Ende der Blockkonfrontation politisch sozialisiert wurde, als es nun wahrlich andere Themen gab als den Kommunismus. Die völkische Formierung des vereinten Deutschlands wollte bekämpft, die Globalisierung begriffen und außerdem verstanden werden, was es zu bedeuten hat, wenn man seinen Computer an das weltweite Netz anschließt. Dafür holte man sich die Konzepte, wo man sie gerade fand: Bei der Foucault’schen Macht-Theorie und bei der feministischen Dekonstruktion, bei den Wertkritikern genauso wie bei den Vertretern der cultural studies und der Medientheorie.

Dieses Milieu hat nun entdeckt, dass es in Anbetracht des größten Sozialabbaus in der Geschichte der Bundesrepublik wenig Sinn macht, über Biopolitik zu reden, wenn man damit nicht auch die Hartz-Konzepte oder die Gesundheitsreform auf den Schirm bekommt, dass gesellschaftliche Totalität eben auch von Besitzverhältnissen handelt. Der Begriff des Kommunismus stand in Frankfurt nicht für eine historische Erfahrung – über den Stalinismus etwa wurde nicht gesprochen. Er stand eher als Chiffre für das Abrücken von einer gewissen Vorliebe für Mehrdeutigkeiten, der man in den Neunzigern anhing und die sich überlebt hat, als ein leerer Ort der Universalität, der nichts verkörpert und deshalb mit allen möglichen Dingen gefüllt werden kann.

So weit, nun Gewerkschafter einzuladen, mochte dieses Mal noch niemand gehen. Dafür war es auch ein Kulturkongress, und dass die Bundeskulturstiftung bereit ist, eine solche Veranstaltung zu finanzieren, spricht ja auch dafür, dass es im Sinne einer individuellen Karriereplanung in den Neunzigern ja auch nicht völlig falsch war, auf die Überblendung von Kunst und Politik zu setzen. Von irgendwas muss man ja leben. Noch waren also keine Gewerkschafter da. Das muss nicht so bleiben.