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Archiv-Artikel

Sex und dies und das

Der Anfang unserer Liebesbeziehung zu Boris Becker steht fest: 7. Juli 1985, Wimbledon. Doch das Ende kam schleichend. Aus aktuellem Anlass: Keine Besprechung der Becker‘schen Autobiografie

Der postmoderne Held: Liebe im Zeitalter der Medienerzählungen

von DIRK KNIPPHALS

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Und jedem Ende auch. Selbst wenn dies Ende manchmal so merkwürdig ausfranst. So wie bei unserer Liebesgeschichte mit Boris Becker.

Der Anfang jedenfalls steht klar und fest umrissen. 7. Juli 1985. Ein Datum wie ein Fels. Ein schöner Sommertag; ein guter Tag für einen Sieg; der Tag, an dem Boris Becker sein Rendezvous mit der Geschichte hatte. Wimbledon. 15 Minuten Ruhm gestand Andy Warhol einem jeden Menschen zu. Boris Becker bekam 15 Jahre und noch mehr (wenngleich sein Ruhm derzeit nur noch ein Schatten seiner selbst ist).

Der Becker-Hecht, und wir sind begeistert. Das Bobbele, und selbst in unserem Spott steckt Bewunderung. Benjamin Henrichs schreibt in der Zeit seitenlange Becker-Feuilletons, und wir lesen, kichern und staunen. Ein Tatort wird über ihn gedreht, und wir sehen ihn uns gern an, obwohl der Film nicht gut ist. Immer wieder ist ganz Deutschland aus dem Häuschen, und wir verteidigen ihn dennoch. Boris Becker glänzt in Wimbledon, scheitert in Paris, kämpft und triumphiert im Davis Cup, zieht nach Monaco, und wir sind stets dabei. Boris Becker auf dem Foto vor der Hamburger Hafenstraße, und wir freuen uns sehr.

Na ja, im Ernst, kein wirklicher Popstar für unsereinen natürlich. Aber einer, der uns glänzend unterhielt, immer wieder überraschte, den man einfach in Deutschland nicht erwartet hätte. Ach, wie gern hätte man eine Autobiografie von ihm gehabt! Nicht dass man davon irgendetwas Ernsthaftes erwartet hätte. Aber man hätte sie gekauft, bestaunt und behütet (dass man sich dabei natürlich auch belächelt hätte, tut hier nichts zur Sache). Boris und wir, seine größten Fans, verbunden durch ein Buch – und nun? Nun ist das Buch da, und es interessiert uns nicht die Bohne. Denn die Liebesgeschichte ist zu Ende. Kalte Asche, durch die der Wind weht.

Das liegt natürlich daran, dass Boris Becker es nicht mehr schafft, Boris Becker zu sein. Gar nicht so einfach, die einstige Bewunderung von heute aus zu rekonstruieren. Bei der Themensitzung in der taz wird ein wenig ratlos überlegt, was zum Erscheinen der Autobiografie zu tun ist, und man hört sich sagen: Nie hätte ich gedacht, dass es ihm gelingen könnte, diesen Ruhm zu zerstören! Es ist ihm gelungen.

Die Zeit seit dem Rücktritt vom Tenniszirkus: kein großer, beckergemäßer Absturz. Sondern ein allmählicher, schleichender Abstieg. Zu viele Affären (die man irgendwann gar nicht mehr auseinander halten konnte). Zu viele Hiobsbotschaften aus einem Leben, das auf Sieg programmiert war.

Im vergangenen Jahr hatte man noch die Biografie über ihn gelesen (von Fred Sellin, Rowohlt-Verlag, sie wurde – obwohl oder gerade weil ziemlich entlarvend – kein großer Erfolg). Günther Bosch spricht darin den Satz vom verschenkten Potenzial: „Er hätte fünf Jahre die Nummer eins sein müssen.“ Er war es nur wenige Tage. Ion Tiriac sieht das ähnlich und beklagt Beckers mangelnden Ehrgeiz: „Er wollte Sex machen und dies und das.“ Vielleicht hat man gerade das so an ihm bewundert: dass er es nie nötig hatte, ein Musterschüler zu sein. Cool war er, und das vor tausend auf ihn gerichteten Kameraobjektiven.

Er hatte es nie nötig, ein Musterschüler zu sein. Cool war er, sogar vor tausend Kameras

Irgendwann hatte er es dann eben doch nötig. Hält sein Gesicht in jede Kamera. Spielt auf Kindchenschema in der AOL-Reklame, während er gleichzeitig in Florida vor dem Familiengericht steht.

Noch ein Satz aus Sellins Biografie, diesmal Zitat Boris Becker: „Die Medien gehen über Leichen“, sagte er einmal. Das gelte für die Bild-Zeitung, „aber im Grunde auch für die FAZ und die taz, die Frankfurter Rundschau und die Süddeutsche – sie machen es nur ein bisschen intelligenter.“ Das war noch aus der Zeit, als die Medien ihm hinterherliefen. Nun hat man das Gefühl, als liefe er ihnen hinterher und als suche er den Anschluss. Und schon entzieht man ihm seine Liebe, so geht es eben mit den Liebesgeschichten im Zeitalter der modernen Medienerzählungen.

Gibt es hier eigentlich etwas zu lernen? Als wir die Biografie lasen, haben wir etwas kryptische Sätze in das Notizbuch geschrieben: „Was ist BB heute? Ein Tennisspieler, der zu alt ist zum Tennisspielen. Einer, der ständig mit neuen Rollen experimentiert. Jemand ohne Substanz, ohne Kern. So zeichnet ihn zumindest Fred Sellin. Gerade dadurch könnte BB aber prädestiniert sein für eine mediale Ausbeutung. Er ist so etwas wie der postmoderne Held.“

Kurz: Wir glauben, ihn durchschaut zu haben. Ob es stimmt? Keine Ahnung. Aber letztendlich ist es wohl gerade das, was wir ihm vorwerfen. Sollen die Autobiografie doch andere lesen.