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Archiv-Artikel

normalzeit HELMUT HÖGE über „Hartz V“ und „Nach vorne kucken“

Sibirien, mon amour

Das ZDF hat erneut von einigen hundert Ehepaaren zwei – aus Ost- und Westdeutschland – ausgewählt, um sie für mehrere Monate nach Sibirien zu schicken: als Pioniere einer neuen Ostlandbesiedlung. Bei der letzten wurden dort mithilfe der Wehrmacht überall deutsche Arbeitsämter eingerichtet, um für die hiesigen Betriebe Sklavenarbeiter einzufangen. Demnächst werden jedoch umgekehrt die deutschen Arbeitsämter ihre „Kunden“ nach Sibirien vermitteln, wo dringend Arbeitskräfte gebraucht werden: Die Idee geht auf Walther Rathenau und die KPD zurück.

Zuletzt veröffentlichte 2003 ein westsibirischer Gouverneur einen solchen „Aufruf“ in deutschen Zeitungen. Zur selben Zeit hatte das ZDF bereits zwei Ehepaare für sechs Monate – nahezu auf Selbstversorgungsbasis – in einem Dorf auf einer Insel im Baikal ausgesetzt, also im sonnigen Südsibirien. Nun geht es in der Permafrostregion Nordwestsibiriens weiter, auf der Halbinsel Jamal oberhalb der Ob-Mündung. Die dritte TV-Sibirien-Expedition 2005 wird ihre Protagonisten wahrscheinlich noch weiter ab nach Kamtschatka verfrachten.

Das ZDF hat jedoch bereits dazugelernt: Die beiden Ehepaare bleiben nur drei Monate auf Jamal, bekommen mehr Geld und sind sprachkundig. Es handelt sich dabei zum einen um die Familie Rabe aus Schleswig-Holstein: Er ist Arzt und sie Steuerberaterin, er hat drei und sie zwei Kinder aus erster Ehe. Während er als Russlandkenntnis nur seine Begeisterung für den Film „Dr. Schiwago“ mitbringt, hat sie einst als DDR-Ökonomin drei Jahre in Kiew studiert. Vom Sibirienabenteuer erhofft sie sich ein „Zusammenwachsen“ ihrer Ost-West-„Patchworkfamilie“. Das andere Ehepaar – Stute – stammt aus Sachsen-Anhalt und hat eine Tochter: Er ist Landwirt und sie Arbeitsamts-Sachbearbeiterin (!), beide verstehen etwas Russisch.

Da einige der Kinder im Dorf Jarssalei, in dem die zwei Familien untergebracht sind, auch zur Schule gehen müssen, hat das ZDF ihnen vorab einen Russischkurs verpasst. In Jarssalei kümmert sich überdies ein Nenze, Kyril, der eine Fleischvermarktungsfirma hat, um die beiden Familien. Er fährt mit ihnen der Abwechslung (und der Bilder) halber zu seinen Verwandten, die als Rentierzüchter in der Tundra leben.

Dort müssen die Deutschen in Zelten leben, auf die Jagd gehen und angeln. Ansonsten arbeitet der Arzt in der Klinik von Jarssalei und seine russischkundige Frau assistiert ihm, während der Landwirt auf der örtlichen Sowchose arbeitet und seine Frau in einer Kita. Die Sowchose zahlt so gute Löhne, dass im Sommer sogar Saisonarbeiter aus Moldawien und der Ukraine hier jobben.

Die beiden deutschen Ehepaare sind in wunderbaren alten Holzhäusern untergebracht, die jedoch allen modernen Komfort wie Zentralheizung, Spülklos und Bäder haben. Die Wohnungen gehören zwei Nenzen-Familien, die in dieser Zeit bei ihren Rentierherden in der Tundra leben. Jarssalei, das man per Schiff über den Ob oder per Hubschrauber von Workuta aus erreicht, ist ein reiches, schönes Dorf, in dem es alles gibt, was man braucht, und seine Schule mit Internat (für die Nomadenkinder) ist materiell weitaus besser als jede deutsche Schule ausgestattet – und pädagogisch sowieso. Außerdem scheint es das leidige Alkoholproblem wie sonst in den Nordmeerregionen nicht zu geben.

Den Nenzen sieht man an, dass sie sich, zumindest in der Vergangenheit, mit allen möglichen Russen vermählt haben. In der DDR wurden sie bekannt über das „Jamburg-Abkommen“, mit dem, nach dem Röhrenembargo des Westens, die Beteiligung der sozialistischen Bruderländer an einer Erdgastrasse vom Mittleren Ob bis nach Berlin geregelt wurde. Diese Trasse hat man dann bis zum „Jamal-Feld“ nach Norden verlängert: Wir kochen hier also alle mit nenzischem Gas!

Neuerdings ist das kleine sibirische Volk vor allem durch die Filme der Nenzin Anastasia Lapsui und des Finnen Markku Lehmuskallio bekannt geworden, die jedes Jahr eine neue Dokumentation auf der Berlinale präsentieren. Über die Burjaten, die am Baikalsee siedeln, unterrichtet uns das deutsche Fernsehen durch seine Moskaukorrespondenten, die sich im Sommer noch stets auf Sibirien-Tour begeben haben. Und Kamtschatka kennt man aus dem Haus der Kulturen der Welt.

Die ZDF-Jamal-Expedition endet im November, bisher sind zwei von vier Folgen abgedreht, die Serie wird wahrscheinlich wieder um Weihnachten ausgestrahlt werden: als schöne Bescherung und zur allgemeinen Belehrung!