: Wo die Lemminge laufen
Der 3. Karstadt-Ruhr-Marathon wird 350 Meter lang durchs Opel-Presswerk führen
Die Ausrichter des nächsten „Karstadt-Ruhr-Marathons“ sollten mal darüber nachdenken, ob ihre formidable Ankündigung auf www.karstadt-ruhrmarathon.de in dieser Form noch haltbar ist: „17. April 2005. Eine Region in Bewegung. Zwei Starts, acht Städte, ein Ziel. Karstadt präsentiert: Den 3. Karstadt-Ruhr-Marathon. Super-Highlight in diesem Jahr ist ein 350-Meter-Lauf mitten durch das Presswerk des Bochumer Autoherstellers Opel.“
Bestimmt hatten die so genannten Verantwortlichen des Kaufhaus-Konzerns in letzter Zeit andere Dinge zu streichen als ausgerechnet ein Massenlanglaufspektakel, das Ruhm und Umsatz der Firma mehren soll. Nachdem aber jetzt die Kürzungspläne des Unternehmens beschlossen und veröffentlicht sind, müssen Vorstand, Aufsichts- und Betriebsrat schnellstens darüber befinden, ob ein solches Ereignis in dieser Form noch zeitgemäß ist.
Mal ganz abgesehen vom zweifelhaften Werbeeffekt – schließlich konnten auch die beiden vorherigen Marathon-Veranstaltungen den Karstadt-Niedergang nicht verhindern –, sollen denn bitteschön im nächsten Frühjahr tatsächlich wieder 40.000 Menschen durchs Ruhrgebiet rennen und sich, ausgerüstet mit Karstadt-Sporttaschen und Karstadt-Leibchen, an bald leer stehenden Karstadt-Filialen vorbeiquälen? Verstößt es nicht mindestens gegen die guten Sitten, wenn man Massen von ohnehin an der Schmerzgrenze agierenden Ausdaueramateuren noch einmal dort vorbeidefilieren lässt, wo sie sich einst ihre Turnschuhe gekauft haben?
Wird es nicht sogar betriebswirtschaftlich kontraproduktiv sein, wenn die Reporter des mitausrichtenden Westdeutschen Rundfunks aus Herne, Bottrop und Gelsenkirchen berichten, der Zug der schwitzenden Lemminge habe soeben den dort zur Disposition stehenden Karstadt-Immobilien den letzten Gruß entrichtet?
Ist aber die Grenze zum Zynismus nicht spätestens dann überschritten, wenn die Ruhr-Marathon-Teilnehmer schließlich das angekündigte „Super-Highlight“ erreichen und „350 Meter mitten durch das Presswerk des Bochumer Autoherstellers Opel“ laufen?
Man sollte schleunigst mal die Arbeiter von Opel Bochum fragen, die gerade von ihren Noch-Arbeitgebern im dortigen Werk erpresst werden, wie ihre sportliche Einstellung zu diesem Spektakel ist. Eventuell haben sie konstruktive Vorschläge, was man stattdessen am 17. April 2005 dort zur Aufführung bringen könnte. Ein zünftiges amerikanisches Rodeo vielleicht, Lasso-Schwingen und Bullen-Reiten mit General-Motors-Vorständen in den Hauptrollen. Das wäre doch ein echtes Highlight mit großem Spaß- und vor allem Werbeeffekt. Dann hätten die Sportreporter des WDR auch wieder allen Grund, ihre Lieblings-Standardstanze zu verstrahlen: „Das hier im Opel-Presswerk, das, liebe Sportsfreunde, das ist einfach Emotion pur!“
Tatsächlich aber wird alles so wie immer, nämlich langweiliger kommen. Keiner der Teilnehmer des 3. Karstadt-Ruhr-Marathons wird sich die preiswerte Gelegenheit entgehen lassen, seinen Dauerlauf im Opel-Werk für eine solidarische Atem-, Gedenk- und Betroffenheitsminute zu unterbrechen. Die dort noch mit Restarbeit Beschäftigten werden es staunend und schweigend ertragen und sich ansonsten um ihre Angelegenheiten kümmern. Allzu lange werden sie wohl auch nicht belästigt. Die Läufer müssen schließlich das Ziel in Essen erreichen. Dort, in der Stadt der Karstadt-Konzern-Zentrale winkt ihnen der große Preis für ihre große Leistung: Das Karstadt-„Finisher“-Trikot. Darin können sie sich was einbilden. FRITZ ECKENGA