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Archiv-Artikel

„Der Sportjournalismus im TV verludert“

Ex-ZDF-Redakteur Michael Palme über die Probleme der Fernseh-Sportberichterstattung und seinen Wunsch nach mehr Hintergrund und weniger Selbstdarstellung

taz: Herr Palme, seit den Olympischen Spielen wird über die Qualität der Sportberichterstattung von ARD und ZDF diskutiert. Schauen Sie noch gerne Sport im Fernsehen?

Michael Palme: Ich habe im Großen und Ganzen den Eindruck, dass Sportjournalismus im Fernsehen ein bisschen verludert. Ich will versuchen, das zu erklären: Die Redakteure, Reporter und Moderatoren befinden sich in einem Teufelskreis. Der Sport selber – das haben wir ja auch bei Olympia erlebt – wird immer mehr zum Event, zur Unterhaltungssendung, zur großen Show.

Was folgt daraus?

Die Journalisten meinen, sie müssen auch eine Show machen, sie glauben, sie müssten auch Entertainer sein. Das wiederum ist eine schwierige Angelegenheit, denn Journalisten, Reporter und Moderatoren tun sich schwer damit, Unterhaltungsstars zu werden.

Können Sie diese Verluderung des Sportjournalismus an einem konkreten Beispiel erklären?

Es gibt einen sehr klugen, musisch begabten Reporter, der Skispringen kommentiert. Er macht das auf eine ganz ruhige, abgeklärte, sehr informierte Art und Weise. Dieser Reporter wird eines Tages von seinem Vorgesetzten aufgefordert: Junge, du musst ein bisschen mehr Gas geben, wir wollen mehr Emotionen, wir wollen mehr Feuer in deiner Reportage haben. Das ist nun mal nicht sein Stil, aber da die Anweisung von oben kam, hat er das bei der nächsten Reportage versucht und hat die Zuschauer zu Hause plötzlich angeschrien.

Und?

Es ging natürlich furchtbar in die Hose, man konnte es nicht mit anhören. Das ist ein Teil des Teufelskreises, und klugerweise hat er danach damit aufgehört und seinen alten Stil wieder gepflegt.

Machen Sie noch einen Unterschied zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern aus?

Leider sehe ich diesen Unterschied kaum noch. Das war mal anders, aber die Öffentlich-Rechtlichen nähern sich in der Art ihrer Sportberichterstattung immer mehr den Privaten an.

Haben die Zuschauer vielleicht tatsächlich ein Bedürfnis nach dieser Art Event-Sport?

Ich glaube nicht, dass der Zuschauer, dass der Sportfreund die Berichterstattung in dieser Form möchte. Er nimmt es natürlich so an, weil es nicht anders gemacht wird. Es ist ja ein Irrglaube, dass man eine Sportübertragung nur wegen der Reporter sieht. Sie kucken sich ein Spiel an, da ist es völlig egal, welcher Reporter da sitzt und wie er berichtet.

Sie glauben, dass Olympia genauso gute Einschaltquoten gehabt hätte, wenn zurückhaltender und fundierter berichtet worden wäre?

Da bin ich ganz sicher. Egal was passiert: Die Menschen schauen sich Sport im Fernsehen an, weil der Sport eine attraktive Sache ist, und zwar durch sich selbst. Ich glaube nicht, dass der Sport attraktiver wird, weil ein Moderator oder ein Reporter zusätzlich die Show abzieht.

Sportjournalismus im Fernsehen war nicht immer so. Es gab zum Beispiel einst das Sportmagazin „Sport unter der Lupe“ in der ARD und bis 1996 den „Sport-Spiegel“ im ZDF, den Sie zeitweise geleitet haben.

Der „Sport-Spiegel“ hat vehement den Hintergrund des Sports, also die journalistische Seite des Sports, dargestellt. Wir haben Themen aufgegriffen, die in aktuellen Sendungen nicht möglich waren. Wir hatten ein Forum, in dem wir Dinge, die sich hinter den Kulissen abgespielt haben, zeigen konnten. Die Sendung war lange Zeit ein großer Erfolg, aber das war vor allem in einer Zeit, in der noch keine privaten Anstalten da waren. Gescheitert ist der „Sport-Spiegel“ sicherlich daran, dass auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten auf Einschaltquoten achten mussten. Und man damals im Hause den Eindruck gewonnen hatte, dass anderthalb Millionen Zuschauer am Freitagabend nicht genügen. Ich bedauere das sehr, und ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass es für solche Sendungen ein Publikum gibt.

Das sehen die Leiter der Sportredaktionen von ARD und ZDF, Michael Antwerpes und Wolf-Dieter Poschmann, offenbar anders. Beide meinen, das Interesse am Hintergrund sei nicht groß genug.

Ich glaube, dass es sehr wohl ein Interesse an einer kritischen Sportsendung gibt. Natürlich kann ich es im Moment nicht beweisen. Aber ich glaube fest daran. Vielleicht müsste man es noch ein bisschen attraktiver verkaufen, und man müsste einen geeigneten Sendeplatz dafür finden.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, wie sollte die Berichterstattung von der Fußball-WM 2006 aussehen?

Ich möchte gerne, dass sich die Reporter alle ein wenig zurücknehmen und nicht so tun, als ob sie die wichtigsten Personen während des Sportereignisses sind. Hilfreich wäre weniger bisweilen lächerlichen Personenkult des einen oder anderen Moderators, dafür mehr Hintergrundberichterstattung, das hat mir jetzt auch bei den Olympischen Spielen gefehlt. Ich möchte gerne Dinge wissen, die nicht im Vordergrund stehen, die nicht bei Live-Übertragungen zu sehen sind, sondern die bei einem Riesenereignis im Hintergrund stattfinden. Das genau ist auch eine der Aufgaben eines Sportjournalisten – und sicherlich nicht die nebensächlichste.

INTERVIEW: JUTTA HEESS