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Archiv-Artikel

Jüdische Gemeinde zerlegt sich

Der Rauswurf des Ex-Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Hamburg, Andreas Wankum, weitet sich zur Schlammschlacht aus. Sogar der Zentralrat der Juden hat sich eingeschaltet. Es geht um orthodox gegen liberal, aber auch um Macht und Geld. Sichtung eines unübersichtlichen Frontverlaufs

Der Zentralrat stehe da, als sei er Betrügern aufgesessen und keile deshalb gegen Herzberg, heißt es aus liberalen Kreisen.

VON DANIEL WIESE

Am Wochenende gehörten die Schlagzeilen Ruben Herzberg, dem neuen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Hamburg. Man habe seinen Vorgänger Andreas Wankum aus der Gemeinde ausgeschlossen, erklärte Herzberg auf Spiegel Online und sprach von „arglistiger Täuschung“. Wankum sei „unter falscher Flagge gesegelt“, sagte Herzberg dem Hamburger Abendblatt. In Wirklichkeit sei Wankum, der erst 2000 in die Jüdische Gemeinde eingetreten war, nie Jude gewesen. Das ergebe sich aus der Sichtung von Dokumenten, die im Hamburger Staatsarchiv aufgetaucht seien und Wankums Familie beträfen.

Zum Eintritt Wankums in die Jüdische Gemeinde hatte der damalige Landesrabbiner Levy Barsilay seine Unterschrift gegeben, doch die sei wertlos, so Herzberg. Für Wankums jüdische Herkunft gebe es keine Belege. Der Landesrabbiner ist auf Betreiben Herzbergs bereits im September 2008 seines Amtes enthoben worden. Er habe, so der Vorwurf, seine Rabbinerurkunde gefälscht. Die Sache wird derzeit vor dem Arbeitsgericht verhandelt.

Seit Wankum, seines Zeichens CDU-Politiker und Bauunternehmer, 2007 von Herzberg, dem Leiter einer Reformschule, abgelöst wurde, tragen die beiden ihren Streit öffentlich aus. Nach seiner Abwahl hat Wankum unter www.atid-hamburg.de einen eigenen Web-Auftritt organisiert, in dem er den neuen Vorsitzenden scharf angreift. Man wolle „den guten Ruf“ der jüdischen Gemeinde Hamburg wiederherstellen und gegen das „unmenschliche und unwürdige Verhalten des amtierenden Vorstands“ angehen, heißt es da. „Atid“, Hebräisch für „Zukunft“, heißt auch eine Liste der Jüdischen Gemeinde in Berlin, die dort nach jahrelangem Streit zwischen liberalen und orthodoxen Kräften die Führung übernommen hat.

Herzberg gehe es weniger um Religion, behauptet Wankum. Unter seiner Führung komme das Leben der Jüdischen Gemeinde herab zu „Kulturabenden mit Klezmer-Musik und Lesungen auf Hausfrauen-Niveau“. Er selbst sei als Vorsitzender immer für Vielfalt eingetreten, aber das könne es nun auch nicht sein.

Der Rauswurf von Wankum spaltet die jüdische Community. Am Montag hat sich sogar der Zentralrat der Juden eingeschaltet – und Herzberg unerwartet deutlich abgewatscht. Der Vorstand habe keine Berechtigung, über Wankums Jüdischsein zu urteilen, die Geschichte rieche „nach einer persönlichen Vendetta“, schreibt der Generalsekretär des Zentralrats, Stephan J. Kramer. Es handele sich um „Stasimethoden“, für ihn sei und bleibe Wankum ein Jude.

Ruben Herzberg wird davon kalt erwischt. Damit habe er „nicht gerechnet“, sagt er der taz. Als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Hamburg sitzt Herzberg selbst im Direktorium des Zentralrats. Man habe ausgemacht, dass sich der Zentralrat nicht in die inneren Angelegenheiten der Gemeinde einmischen wolle, sagt er, und dass er die Sache klären werde.

Liberale jüdische Kreise zeigen sich über den Angriff des Zentralrats auf Herzberg weniger überrascht. „Die mussten so reagieren“, sagt ein Insider. Herzberg habe mit seinem Vorgehen die orthodoxe Fraktion in Bedrängnis gebracht, zu der Wankum und auch Landesrabbiner Barsilay gehörten. Beide seien jahrelang aktiv gewesen, Wankum im Direktorium des Zentralrats. „Und jetzt stehen sie als die da, die Betrügern aufgesessen sind.“ Das könne der Zentralrat nicht auf sich sitzen lassen.

Ganz einig in der Bewertung der Vorgänge sind sich die Anhänger von Herzberg allerdings nicht. Es gehe weniger um einen Richtungsstreit, sagt ein anderer, es gehe „um Macht und Geld“. Unter Wankum habe der damalige Rabbiner Barsilay ein fürstliches Leben geführt, seine Dienstwohnung in der Synagoge habe er um die des Kantors erweitert, sich sogar einen Dienstwagen genehmigt, unter dem Verwand, die koschere Zubereitung von Marmelade zertifizieren zu müssen, wozu eine Anfahrt notwendig sei. Proteste seien nicht möglich gewesen. „Unter Wankum war es eine Majestätsbeleidigung, etwas gegen den Vorstand zu sagen.“

Für das rechtsextreme Internetportal Altermedia ist der Streit bei der Jüdischen Gemeinde ein gefundenes Fressen. „Wenn Juden unter sich das große Streiten kriegen, ist dies für Nichtjuden immer ein ganz besonderes Schauspiel, hat man hier doch die Gelegenheit zu betrachten, wie das von Gott auserwählte Volk ist, wenn es sich unter sich wähnt und auf politisch notwendige Maskierungen verzichtet“, notieren die Macher der Seite genüsslich – und zitieren ausführlich aus der Berichterstattung im Hamburger Abendblatt, das zum ersten Mal deutlich vom CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Wankum abgerückt ist. Die Springer-Zeitung zitiert Gemeindemitglieder mit dem Ausspruch, Wankum sei „ein Hochstapler und Scharlatan“, der nur „den sicheren Hafen der Gemeinde gesucht“ habe.

Wankum hatte nach seinem Eintritt in die Jüdische Gemeinde als Bauunternehmer Insolvenz anmelden müssen, weil er sich beim Bau der neuen HSV-Spielstätte übernommen hatte. Bereits damals hatte das Abendblatt aufmerksam notiert, dass es Wankum trotz seiner Pleite nicht schlecht gehe, er arbeite jetzt als Geschäftsführer im Unternehmen seiner Frau weiter und wohne noch immer in Alsternähe.

Andeutungen, Geschäfte und sein Eintritt in die Jüdische Gemeinde könnten miteinander zu tun gehabt haben, hatte sich die Zeitung verkniffen – bis jetzt. Wankum selbst findet diese Andeutungen „ungeheuerlich“.