: „Ein erster Schritt, mehr nicht“
INTERVIEW MATTHIAS URBACH
taz: Nach sieben Jahren kann das Kiotoprotokoll endlich in Kraft treten. Als Meteorologe streiten Sie seit zwei Jahrzehnten für Klimaschutz. Was empfinden Sie heute, Herr Graßl?
Hartmut Graßl: Große Genugtuung. Weil sich am Ende doch, wenn nur lang genug diskutiert wird, das Faktenwissen durchsetzt. Der US-Präsident ist praktisch der Letzte, der dieses Wissen nicht akzeptieren will.
Sie waren von Anfang an dabei, haben 1987 den Bericht der Deutschen Physikalischen Gesellschaft mitformuliert, der hierzulande die Debatte auslöste. Haben Sie damals geahnt, wohin das führen würde?
Nein. Ich hatte ja keine Ahnung, wie Politik läuft. Ich dachte, wenn die das Problem erkennen, dann werden die schon rasch handeln.
Als Mitglied der Klima-Enquetekommissionen des Bundestages lernten Sie die Politik kennen. Wie war Ihr Eindruck?
Etwas gelingt nur dann gut, wenn die Politiker sich über die Parteigrenzen hinweg nobel verhalten. Obwohl der Machtmensch Bernd Schmidbauer von der Union und der Parteilinke Michael Müller von der SPD sehr verschieden waren, arbeiteten sie in der Enquete gut zusammen. Alle Vorschläge wurden später im Bundestag einstimmig angenommen und hatten deshalb große Wirkung. Daher rührt auch meine positive Grundstimmung der Politik gegenüber: Ich kann der üblichen Politikerschelte nichts abgewinnen.
Was war national auf dem Weg nach Kioto entscheidend?
Das nationale Klimaziel von 1990. Umweltminister Klaus Töpfer, der die Zwischenberichte der Enquetekommission stets auf den Tisch bekam, beauftragte seine Mitarbeiter, eine Kabinettsvorlage zu formulieren. Die destillierten als nationales Klimaziel heraus, den Kohlendioxidausstoß bis 2005 um 25 Prozent zu senken. Schmidbauer war enttäuscht und sagte: Der Töpfer hat uns alles vorweggenommen. Ich war der Meinung, dass es was Besseres nicht geben kann.
Was war international das entscheidende Ereignis?
Im Rückblick wohl der Erdgipfel in Rio 1992. Da haben die Industrieländer in der Klimarahmenkonvention zum ersten Mal anerkannt, dass sie die Hauptverursacher des Klimawandels sind – und das sie deshalb mit Maßnahmen vorangehen müssen. Und die Entwicklungsländer haben anerkannt, dass sich nicht entwickeln kann, wer seine Umwelt zertrampelt.
Wer war die treibende Kraft?
Damals noch die USA – und China für die Entwicklungsländer.
Welche Rolle spielte die Klimaforschung?
Eine entscheidende. Das lag an dem Zwischenstaatlichen Ausschuss über Klimaänderung (IPCC). Der wurde 1988 in Genf von der Weltorganisation für Meteorologie und dem Umweltprogramm der UN aus der Taufe gehoben und bündelte das Wissen der Menschheit über den Klimawandel. Der erste Bericht von 1990 schaffte eine wissenschaftliche Handlungsgrundlage großer Autorität. Der zweite große IPCC-Bericht enthielt 1995 den berühmten Satz: „The balance of evidence suggests a discernible human influence on global climate.“ Damit war die Handschrift des Menschen im Klima entdeckt, übrigens von meinem Kollege Professor Hasselmann hier am Max-Planck-Institut in Hamburg. Dieser Satz hat das Kiotoprotokoll 1997 und nun seine Ratifizierung erst möglich gemacht – da bin ich ganz sicher.
Sie waren bei allen wichtigen Konferenzen dabei. Deutschland hält sich für den Vorreiter, stimmt das noch?
In den frühen Achtzigern waren wir reine Schlafmützen. Erst das nationale Klimaziel von minus 25 Prozent, auch wenn wir sie nun nicht einhalten werden, und Erfolge bei der Reduktion der Emissionen brachte uns in die Vorreiterrolle. Tony Blair wird uns im nächsten Jahr wohl als Vorreiter ablösen, wenn er als Präsident der G-8-Staaten dort den Klimaschutz zum Hauptthema macht. Und wenn er minus 60 Prozent für Großbritannien zum Nationalen Klimaziel bis 2050 erklären wird. Damit gibt er ein Signal wie einst Deutschland.
Gibt es noch Unsicherheiten in unserem Wissen über den Klimawandel?
Das unsicherste am Ganzen ist das menschliche Verhalten. Die Spanne zwischen 1,4 und 5,8 Grad Erwärmung im 21. Jahrhundert, die das IPCC angegeben hat, beruht im Wesentlichen auf der Unkenntnis, was die Menschen tun werden. Plus 1,4 Grad haben sie in einer Welt, die sich Umweltschutz und Multilateralismus verschreibt. Die 5,8 Grad sind: Alles raus, was wir an Öl finden, und international nur Streit.
Ihr Forscherbeirat WBGU empfiehlt, die Erwärmung auf 2 Grad zu begrenzen.
Das sagt auch die EU. Und das bedeutet: Kioto ist ein erster zaghafter Schritt, mehr nicht.
Ist Russlands Ratifizierung auch eine Niederlage für Bush?
Die Amerikaner haben mit der Zurückweisung von Kioto einen großen Fehler gemacht. Ihnen war nicht klar, dass sie damit die Europäer zu Meinungsführern machen. Putin hat sich jetzt noch stärker an die Europäer angelehnt. Er ratifiziert Kioto und erhält im Gegenzug Unterstützung bei der Aufnahme in die Welthandelsorganisation.
Kann man auf Dauer auf die USA verzichten?
Auf keinen Fall: Die USA haben den höchsten Ausstoß an Treibhausgasen – pro Kopf und in der Summe.
Wie kriegen wir die USA zurück in den Klimaprozess?
Durch einen neuen Präsidenten, oder durch den Druck der amerikanischen Industrie, die irgendwann sagt, sie werde abgehängt. Wer hat denn den Präsidenten zu dieser brüsken Ablehnung gezwungen? Die altertümliche Industrie: Öl, Kohle, Auto. Die, die jetzt Geld machen wollen mit erneuerbaren Energien, sind nicht gefragt worden.
Da wäre ja auch noch der US-Kongress. Der verlangt einen Beitrag Chinas.
Wir haben als WBGU ja einen Vorschlag gemacht: Demnach müssten auch Chinesen und Inder ein Klimaschutzziel akzeptieren. Dazu müsste man vereinbaren, dass nach dem UN-Prinzip jedes Land irgendwann pro Kopf genau gleich viel emittieren darf. So kann man die großen Schwellenländer integrieren.
Und die Kosten?
Man wird feststellen, dass es gar nicht so teuer ist, etwas zu tun. Wir haben doch stets erlebt: Wenn man etwas anpackt, gibt es durch Lerneffekte enorme Kostensenkungen. Das war bei Energie aus Wind, Sonne und Biomasse so. Und sogar bei der Kohle: Die Kraftwerke werden immer sauberer und billiger. Nur bei der Kernkraft gab es kein wesentliches technologisches Lernen.
Die Kernkraft ist also keine Lösung fürs Klima?
Nein. Zu unsicher. Die Proliferation von Spaltmaterial ist eines der größten Sicherheitsprobleme. Und wo soll der Abfall einmal hin, der mich, wenn ich ihn in meinem Zimmer lagere, in wenigen Stunden dem Strahlenkrebs aussetzt?
Sie halten sichere Endlager nicht für möglich?
Sie müssen den Müll hunderttausende von Jahren einlagern. Schauen sie sich die Menschheit an! Die Griechen haben gelehrt, wir leben auf einer Kugel. Dann haben wir tausend Jahre lang vergessen, dass wir auf einer Kugel leben – und wähnten uns wieder auf einer Scheibe. Wenn uns die Sumerer, die erste höhere Kultur, vor 5.000, 6.000 Jahren Atommüll überlassen hätte, müssten da heute immer noch sumerische Wachposten davor stehen. Wie soll das funktionieren?
Welche Folgen hat der Klimawandel?
Die Kluft zwischen Arm und Reich wird wachsen. Die Entwicklungsländer sind stärker von Klimaänderungen betroffen und können sich gleichzeitig weniger schützen. Sie haben keine Infrastruktur, die sie vor Wetterextremen schützt. Unsere Häuser werden zum Beispiel so gebaut, dass bei einem normalen Orkan die Fenster nicht eingedrückt werden. Da gibt es Bauvorschriften. Wir haben Deichoberkanten, die fest definiert sind – und ab und zu erhöhen wir die. Wir können uns das locker leisten.
Derweil haben Haiti und Grenada den Wirbelstürmen und Flut nichts entgegenzusetzen.
Ja. Durch den Klimawandel werden solche Hurrikane zwar vermutlich nicht häufiger, aber stärker werden. Und im Südatlantik, wo es früher keine gab, haben wir jetzt die ersten Wirbelstürme. Aber auch in Ländern mit großen Marschniederungen wie Bangladesch, Ägypten und Argentinien werden die Probleme wachsen. Um das Land in den Flußdeltas beackern zu können, entwässern sie es. Dadurch sackt der Boden ab, immer tiefer unter den Meeresspiegel. Gleichzeitig steigt das Meer.
Wie stark steigen die Pegel?
Beim Meeresspiegel erwartet man gut einen halben Meter in diesem Jahrhundert – dann geht es aber weiter. Das Meer wird Jahrhunderte ansteigen, auch die Temperatur. Selbst wenn wir sofort aufhören zu emittieren, dauert es Jahrhunderte, bis sich wieder ein natürliches Klima einstellt. Ohne Klimaschutz wird Grönland anfangen abzuschmelzen. Nach tausenden von Jahren kann dadurch das Meer um sechs Meter ansteigen.
Wer hilft den armen Ländern bei der Anpassung?
Es sind im Kiotoprotokoll sogar Anpassungsfonds vorgesehen. Nur weiß keiner, wie die gefüllt werden. Am besten wäre es, die Nutzung der globalen Gemeinschaftsgüter mit Gebühren zu belegen. Etwa eine Billion Euro wird jährlich ausgegeben für Schiffsgüterverkehr auf hoher See, und 600 Milliarden Euro für Personenflüge. Da wird die Atmosphäre mit Klimagasen belastet und keiner zahlt was – der internationale Verkehr ist nicht mal im Kiotoprotokoll berücksichtigt. Eine Gebühr von nur einem Prozent brächte glatt 16 Milliarden Euro.
Die EU diskutiert aber schon lange über Steuern auf Kerosin oder Schiffsdiesel.
Ja sicher. Aber sollte man ein Thema, das Jahrhunderte umfasst, schon aufgeben, nur weil nach fünf Jahren kein Fortschritt da ist? Nein. Da müssen dann halt andere weiterverhandeln, wenn die, die angefangen haben, schon grau geworden sind.