: „Nicht küssen, aber ernst nehmen“
Die grüne Bürgerschaftsfraktion feiert heute ihre 20-jährige Existenz. Es gratulieren und jubilieren (zum Teil) die Weggefährten von einst und jetzt, der politische Gegner und die Verwandten im Geiste
Bremen taz ■ Zwanzig Jahre Parlamentarismus, davon 16 in der Opposition – die Bremer Grünen feiern heute ihren Geburtstag als Bürgerschaftsfraktion. Nachdem sich der im engeren Sinne politikfähige Teil der Protestbewegungen Ende der 70er für die Gründung der Grünen entschieden hatte, zogen im Herbst 1983 die ersten zehn Abgeordneten ins Parlament ein. Der Umweltschutz wurde in dieser Regierungsperiode als Ziel in der Bremer Verfassung verankert, die Schulpolitik des damaligen SPD-Senators Horst-Werner Franke vom heutigen Landesvorsitzenden der Grünen Dieter Mützelburg scharf kritisiert. Es folgten Flügelkämpfe in den eigenen Reihen und jede Menge Grundsatz-Diskussionen mit der Basis. Im Parlament sorgten die Grünen für Debatten, die weit übers Bremer Tagesgeschäft hinausgingen. Schließlich kam es 1991 zur Ampelkoalition und damit zur ersten grünen Regierungsbeteiligung in Bremen. Sie endete vor der Zeit, nicht ohne – etwa mit dem Stichwort „Stadt am Fluss“ – Weichen für die Zukunft gestellt zu haben. Heute haben die Grünen 13 Sitze in der Bürgerschaft, davon sind acht mit Frauen besetzt.
Hans Koschnick, Bürgermeister a.D., SPD: Vor 20 Jahren war ich etwas schockiert, dass so viele Wähler von der SPD zu den Grünen übergelaufen sind. Aber schon damals haben sie die Lücken der Politik erkannt. Sie können nicht erwarten, dass man sie küsst, dass man sie liebt, aber sie können erwarten, dass man sie ernst nimmt. Auch heute noch geben sie ein munteres Beispiel von Oppositionspolitik. Dass das so bleibt, darauf setze ich.
Marieluise Beck, Staatssekretärin für Migration und Integration: Ich gratuliere der Grünen-Fraktion, dem trutzigen gallischen Dörfchen – umzingelt von tumben SPD-CDU-„Römern“. Begegnet ihnen weiterhin mit Klugheit, Witz und einem Löffelchen Zaubertrank.
Peter Rüdel, Leiter der hiesigen Heinrich Böll-Stiftung: Ich wünsche den Grünen, dass ein wenig von der Aufbruchstimmung von damals in die Fraktion zurückkehre. In besonders guter Erinnerung habe ich die Ampel-Koalition, in der Politk und Stadtentwicklung öffentlich diskutiert wurden – Zivilgesellschaft im besten Sinne! Danach ist die Politik wieder im Hinterzimmer verschwunden.
Uwe Helmke, ehemaliger grüner Abgeordneter, trat ’99 aus der Partei aus: Ich wünsche der grünen Fraktion, dass sie die Chance zur Regierungsbeteiligung in Bremen bekommt. Und dafür würde ich ihnen eine starke Partei im Hintergrund mit eigenen Standpunkten wünschen. Damit das, was parlamentarisch nicht durchzusetzen ist, als Debatte in der Welt bleibt. Etwas Zweites kann ich eigentlich nicht wünschen: Die Grünen müssten den Kern der derzeitigen Krise deutlicher anpacken und das ist das System des Wirtschaftens. Den Mut dazu hatten sie aber auch schon anfangs nicht.
Klaus Rainer Rupp, Landesvorsitzender der PDS: Ich wünsche den Grünen Durchsetzungsvermögen beim Durchsetzen sozialer und ökologischer Politik auf Bundesebene.
Claus Jäger, in der Ampelkoalition FDP-Wirtschaftssenator: Ich kann mich gut erinnern an die gemeinsame Opposition von Grünen und FDP gegen die SPD vor der Ampelzeit – das haben wir sehr erfolgreich gemeistert. Inzwischen haben die Grünen ihren Anspruch, grundsätzliche und politische Moral zu verkörpern, in der politischen Pragmatik aufgegeben.
Christian Siegel, Hörfunkredakteur bei Radio Bremen: Ich wünsche den Grünen, dass sie sich ein bisschen auf ihre anarchistisch-aufbegehrenden Anfänge zurückbesinnen. Wer mich sehr beeindruckt, ist Karoline Linnert: Sie hat sich aus ihrem Spezialgebiet des Sozialen heraus entwickelt zu einer von allen ernst genommenen Oppositionsvorsitzenden.
Ulrike Hauffe, Frauenbeauftragte: Ich wünsche den Grünen: einen geraden Rücken, einen klaren, unverschleierten Blick auf die Politik Bremens, weiterhin einen feministischen Standpunkt und viele SympathisantInnen nicht nur bei den Gleichaltrigen.
Robert Bücking, Ortsamtsleiter Viertel/Östliche Vorstadt: Ich habe den Eindruck, dass für die Grünen bald die Zeit der Ernte kommt. Sie sollen noch zwei Jahre durchhalten. Dann nämlich muss möglicherweise einer die Scherben zusammenkehren. Lange haben die Grünen vom Fücks-Erbe gezehrt, im Guten wie im Schlechten. Jetzt gelingt es ihnen, Politik auf eigene Rechnung zu machen.
Henning Scherf, Bürgermeister: Ich wünsche den Grünen, dass sie sich gelegentlich auf ihre Gründungsabsichten besinnen.
Jens Meyer, Chefredakteur von buten un binnen: Ich finde gut, dass die Grünen so standhaft geblieben und sich nicht irgendwelchen Moden des politischen Zeitgeistes unterworfen haben – wie so viele Grüne in anderen Ländern. Ich wünsche ihnen, dass sie bald wieder was zu sagen haben.
Bernd Neumann, CDU-Landesvorsitzender: Vor 20 Jahren war der Auftritt der Grünen gekennzeichnet von Frische, Unbekümmertheit und Dynamik, was ich als sehr belebend empfand. Ich wünsche den Grünen, dass sie diese ursprüngliche Lebendigkeit nicht völlig verlieren. Frische und neue Ideen tun immer gut – die sind durch kleine Parteien viel eher möglich als durch große. Wenn die Grünen so werden wie alle anderen, sind sie fast überflüssig.
Protokoll: hey, sgi, cmo