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Archiv-Artikel

Renaissance des Zwirblers

Dank Mehmet Scholl erstreiten sich die ihrer gewohnten Kreativabteilung beraubten Münchner Bayern ein 2:0 bei Hansa Rostock, dem heimschwächsten Bundesligateam aller Zeiten

AUS ROSTOCK MATTI LIESKE

Was waren das in den ersten Wochen der Saison wieder für Lobeshymnen gewesen, die über dem FC Bayern München ausgeschüttet wurden – zuvorderst von den üblichen Turborhetoren des Vereins höchstselbst. Mit Zauberfüßen wie Deisler und Ze Roberto wollte man den Magath’schen Offensivfußball zu europaweiter Blüte treiben, unterstützt von einem endlich seine Chefrolle in voller Statur ausfüllenden Ballack, dahinter mit einem Lucio, der weitere feinsinnige Elemente zum Spiel nach vorn beisteuern würde. Unbremsbar, unschlagbar, unheimlich – so stellte man sich das in München vor.

Als die Bayern jedoch am Samstag bei Hansa Rostock gastierten, war von diesen Visionen nicht mehr viel übrig geblieben. Zerstoben im Zuge zahlreicher durchwachsener Partien, zerschellt auch an gesundheitlichen Problemen, welche die gesamte erste Kreativgarnitur lahm gelegt hatten. Im Ostseestadion begab sich ein Mittelfeld der Rackerer mit Hargreaves, Frings, Salihamidzic und Schweinsteiger ans Werk, ein solides Fußwerkerkollektiv anstelle einer kickenden Künstlerkolonie. Bezeichnend für die Bayern im Herbst 2004. dass Manager Uli Hoeneß die ersten 30 Minuten dieses Spiel „unsere bisher beste Saisonleistung“ nannte. Bezeichnend auch, dass mit Mehmet Scholl ein 34-jähriger Altvorderer, der seit Urzeiten für die schöpferischen Elemente im Bayern-Spiel zuständig ist, am Ende dafür sorgen musste, dass ein 2:0 und drei Punkte in Rostock für die Münchner heraussprangen.

Zu Beginn des Spiels beherrschten diese ihren Gegner klar. Mit simplen Kurzpassstafetten spielten sie sich locker Torchancen heraus, was auch daran lag, dass Hansa ihnen kaum Druck entgegensetzte. Trainer Juri Schlünz ließ jenes 3-4-3 spielen, mit dem sein Team auswärts schon acht Punkte gesammelt hat, während alle vier Heimspiele verloren gegangen waren. Gegen die Bayern erwies sich eine solche Formation als fatal. Erst als David Rasmussen in der 37. Minute wegen eines Grätsch-Hinterhalts berechtigt vom Platz gestellt worden war, das Publikum in Rage geriet, die Akteure beider Teams ebenso, lief es bei den Rostockern kurioserweise besser. Diese zogen sich nun zurück und bewegten sich mehr, das Gegenteil taten mit der trügerischen Gewissheit des numerischen Vorteils die Bayern. Ein Mittelfeld von Rennern funktioniert aber nur, wenn diese auch entsprechend rennen. In der 55. Minute wurde es Trainer Felix Magath zu bunt, und er sorgte mit der Einwechslung von Scholl und Guerrero für „mehr spielerisches Potenzial“.

Mehmet Scholl übernahm sofort das Kommando, zog die Bälle an sich und sorgte für jene „Linie“, die Magath zuvor vermisst hatte. Auch mit dem Mundwerk, als er zum Beispiel Schweinsteiger bei dessen Eckball in der 83. Minute rüde anblaffte, er solle ihm gefälligst den Ball zuschieben. Statt einer ungefährlichen Schweini-Ecke, gab es eine für die Hansa-Abwehr hochtoxische Scholl-Flanke, die Sagnol zum 1:0 ins Tor köpfte. „Immer gut, wenn der Junge auf den Älteren hört“, kommentierte Magath den Vorgang mit gewohnter Süffisanz.

Ebenso süffisant sprach der Bayern-Trainer vom „Spitzenspiel“, das es nun am Dienstag in München gegen Wolfsburg gäbe, auch wenn man genau hinschauen musste, um das hauchfeine Lächeln zu sehen, das diese Formulierung auf Magaths Lippen zauberte. Unübersehbar indes die Zufriedenheit im Bayern-Tross über die drei Punkte. Ein 0:0, nach dem es lange aussah, hätte den Rückstand zur Spitze fast schon dramatisch anwachsen lassen, so aber sind die Bayern auf dem besten Weg dorthin, wo sie nach Meinung von Keeper Oliver Kahn hingehören: „An die Spitze.“

Dass die Besetzung vom Samstag noch einmal auflaufen wird, ist kaum zu erwarten, einer jedoch hat nachdrücklich seinen Anspruch auf einen Platz in der Stammelf angemeldet. „Mit einem gesunden Mehmet sind wir ein Klasse besser“, sagte Hasan Salihamidzic, und auch der gestrenge Magath geriet förmlich ins Schwärmen über die Renaissance des Mehmet Scholl, der seiner spielentscheidenden Flanke einen fulminanten Flachschuss zum 2:0 folgen ließ und dann die Götter des Fußballs noch mit einem gezwirbelten Freistoß versuchte. „Ein Spieler, wie ich ihn liebe“, lobte der Bayern-Coach. „Einer, wie Sie es waren?“, insinuierte prompt ein Reporter. Aber das war selbst einem Magath in aufgeräumtester Stimmung zu viel: „Da muss er noch ein bisschen was tun.“

Hansa Rostock: Schober - Möhrle, Lapaczinski (84. Rydlewicz), Madsen - David Rasmussen, Persson (84. Meggle), Lantz, Thomas Rasmussen - Di Salvo, Arvidsson (84. Biran), PricaBayern München: Kahn - Kuffour, Kovac, Linke, Salihamidzic - Sagnol, Frings, Hargreaves (55. Scholl), Schweinsteiger (84. Demechelis) - Hashemian (55. Guerrero), MakaayZuschauer: 30.000; Tore: 0:1 Sagnol (82.), 0:2 Scholl (85.); Rote Karten: David Rasmussen (37.) / Kuffour (75.)