: Das Wort der kleinen Dinge
Das schönste deutsche Wort ist gekürt: „Habseligkeiten“ heißt es, und seine Wahl ist eine gute, denn es ist tatsächlich ein überaus schönes Wort mit bescheidenem, schmeichelndem Glanz
VON CLEMENS NIEDENTHAL
In Deutschland pflegt man gern ein inniges Verhältnis zu den Dingen. So innig, dass man seine Dinge manchmal sogar Habseligkeiten nennt. Ein schönes Wort mit schmeichelndem Glanz. Dinge, die einem selig sind, sind Habseligkeiten. Und „Habseligkeiten“, so viel ist seit gestern klar, ist „das schönste deutsche Wort“. Schöner noch als „Geborgenheit“, schöner noch als „lieben“, schöner als der „Augenblick“, die drei nächstplatzierten schönen Wörter. Schöner als „die Liebe“ sowieso. Obwohl „die Liebe“ das am meisten genannte Wort unter den insgesamt 22.838 Einsendungen war. Einsendungen, die sogar bis aus den USA gekommen waren. Einem Land, das sich seine schönen Wörter aus der deutschen Sprache leiht. Kindergarden zum Beispiel, Zeitgeist oder Fahrvergnügen.
Nun könnte man einwenden, dass der kurzlebige Zeitgeist nun wahrlich kein schönes deutsches Wort sei. Und Fahrvergnügen auch nur eines für jene, die das individuelle Fahren tatsächlich als vergnüglich empfinden. Habseligkeiten haben aber auch in einer Gesellschaft, die immer häufiger ein „Simplify your life“ einfordert, Konjunktur. Ja, mehr noch: Ist es nicht gerade ein gegenwärtiger – geradezu zeitgeistiger – Trend, der mehr und mehr Menschen dazu bringt, sich von den Dingen zu trennen und zu den Habseligkeiten zurückzufinden? Den emotional geadelten Dingen gewissermaßen. Nichts anderes sind sie ja, die Habseligkeiten.
Und geadelt ist jetzt auch das Wort Habseligkeiten. Für alle Ewigkeit (auch ein schönes Wort) wird es das Erste aller je gekürten schönen Worte bleiben. Gekürt von einer Jury, der unter anderem Jutta Limbach, die Präsidentin des Goethe-Instituts und Vorsitzende des Deutschen Sprachrats, der Sänger Herbert Grönemeyer, Autor Uwe Timm, Insa Backe, Moderatorin des Kinderradios „Lillipuz“, oder Filmregisseur Joseph Vilsmaier angehört haben. Gekürt vom Deutschen Sprachrat, vom Goethe-Institut und von der Gesellschaft für deutsche Sprache, die den Wettbewerb veranstaltet haben.
Gekürt zudem in einem alltagskulturell aufgeputschten Klima, in dem auf allen Kanälen die Schnellsten, Doofsten, Dümmsten oder eben auch Besten gesucht werden. Da mag das schönste deutsche Wort von angenehmerer Gestalt sein als das größte One-Hit-Wonder oder der peinlichste Sexskandal. Die Frage nach der Notwendigkeit einer Normierung von zunächst einmal ganz persönlichen Alltagserlebnissen bleibt so oder so virulent. Ist ein schönes Wort nicht von genauso individueller Erscheinung wie eine ganz persönliche Habseligkeit? An dieser Stelle nun meldet sich die rote Zickzacklinie der automatischen Rechtschreibkorrektur. Denn Habseligkeiten ist ja zudem eines der wundervollen Wörter, die nur im Plural existieren. Genauso wie Blütenstaub, ein ebenfalls nominiertes Wort. Eines, das allerdings nicht zu den Habseligkeiten gehört, es sei denn, man ist eine Biene.
Aber Bienen beherrschen nun mal Natur- und keine Kulturtechniken. Der Mensch aber hat sich mit der Sprache die vielleicht komplexeste aller Kulturtechniken geschaffen. Nur verständlich also, dass diese auch gefeiert werden will. Seit 1977 („Szene“) kürt die Gesellschaft für deutsche Sprache das Wort des Jahres. Seit 1991 („ausländerfrei“) das dazu gehörige Unwort. Und nun eben das schönste Wort, das nicht ganz zufällig eines geworden ist, das aus einer anderen Zeit herüber zu leuchten scheint. Immer wieder fanden die Wettbewerbseinsendungen zu einer Archäologie der Sprache. Fanden sie Worte wie „saumselig“, jenes, so der Vorschläger in seiner außerordentlich feinsinnigen Erklärung, „Stadium selbstvergessenen Müßiggangs“. Oder „Trödeln“, eine „kleine Anarchie, die in unseren Leben kaum mehr möglich ist“.
So war der Wettbewerb eben auch der Versuch, einer flüchtigen Gegenwart und ihren vermeintlich flüchtigen Sprachregelungen ein Korrektiv entgegenzusetzen. Wie wenig sich die Gegenwart wiederum von so etwas beeindrucken lässt, zeigte sich am gestrigen Vormittag in der Kultursendung „westART“ im WDR-Fernsehen. „Rhabarbermarmelade“ hatte sich da einer als schönstes deutsches Wort erdacht – und bekam als Preis ein magentarotes Handy überreicht. Das gehört nun also zu seinen Habseligkeiten.