: Was wäre, wenn …!?
Undenkbares wird plötzlich möglich. Zum Beispiel Bochum ohne Opel. Die Existenz vieler deutscher Städte scheint an die Präsenz des jeweils größten Arbeitgebers gebunden. Oder gibt es einen Plan B? Ein Quartett bedrohter Städte von ANNA KISTNER und MICHAEL LÜNSTROTH
BayerLEVERKUSEN
Bundesland: Nordrhein-Westfalen
Einwohnerzahl: 161.047
Beschäftigte bei Bayer: ca. 20.000
Arbeitslosenquote: 11,1 Prozent
Abhängigkeitsfaktor: Maximal
Gefährdungsfaktor: Mäßig. Bayer ist zu sehr mit der Stadt verbunden. Zudem sind die Leverkusener krisenerfahren durch den Lipobay-Skandal. Und: Von ehemals 40.000 Arbeitsplätzen sind schon jetzt nur noch knapp die Hälfte übrig.
Und sonst?: Keine Uni, keine Fachhochschule, kein Theater, dafür ein Autobahnkreuz und eine Mehrzweckhalle, das „Forum“.
Was wäre, wenn …!?: „Wenn das passiert, dann würde ich nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass Leverkusen überlebt. Dieses Horrorszenario möchste ich mir wirklich nicht mal ansatzweise vorstellen.“ (Oberbürgermeister Ernst Küchle, SPD)
Plan B: „Wir haben einen Chemie-Park in Leverkusen etabliert. Dort sind 10.000 neue Arbeitsplätze entstanden.“ (Eva Babatz, IHK, Zweigstelle Leverkusen)
Fazit: „Solange Bayer stinkt, geht’s uns gut.“
MÖBEL KRAFTBAD SEGEBERG
Bundesland: Schleswig-Holstein
Einwohnerzahl: 16.042
Beschäftigte bei Möbel Kraft: ca. 2.000
Arbeitslosenquote im Kreis Segeberg: 8,3 Prozent
Abhängigkeitsfaktor: Mittel
Gefährdungsfaktor: Niedrig. Vor kurzem wurde eine Krise des Unternehmens abgewendet, 500 Arbeitsplätze gestrichen. Mit dem neuen Investor (Möbel Höffner) stieg der Glaube an das Überleben.
Und sonst?: Es gibt einen Männerchor, ein Billard-, Darts- und Internetcafé und ein Kino. Kulturelles Highlight der Region: Die Karl-May-Festspiele. Zudem: Geburtsort von Detlev Buck.
Was wäre, wenn …!?: „Das wäre ein wirtschaftliches Desaster für Bad Segeberg. Sie müssen sehen: das betrifft ja nicht nur die Stadt, sondern die gesamte Region.“ (Bürgermeister Hans-Joachim Hampel, CDU)
Plan B: „Es gibt keine Alternativen, also auch keinen Plan B. Natürlich versuchen wir alles, um den Standort auch für andere Investoren attraktiv zu halten.“ (Rüdiger Schacht, IHK Lübeck)
Fazit: Die Kuh ist vom Eis. Einstweilen.
Bitburger BrauereiBITBURG
Bundesland: Rheinland-Pfalz
Einwohnerzahl: 12.796
Beschäftigte bei der Bitburger Brauerei: über 1.000
Arbeitslosenquote: 5,5 Prozent
Abhängigkeitsfaktor: Hoch
Gefährdungsfaktor: Niedrig. Die Brauerei wächst stetig.
Und sonst?: Am zweiten Sonntag im Juli findet das europäische Folklorefestival statt und kürzlich trug sich der Mafia-Jäger Leoluca Orlando ins Goldene Buch der Stadt ein. Aber: Trinkt man in Rheinland-Pfalz nicht eher Wein?
Was wäre, wenn …!?: „Wir sind ein gutes Beispiel dafür, dass einen auch Erfolg ruinieren kann: Das Wachstum der Brauerei führt zwar zu mehr Arbeitsplätzen, vergrößert aber auch unser Loch im Stadthaushalt. Ohne Bitburger wäre der Haushalt der Stadt allerdings noch defizitärer als ohnehin schon.“ (Bürgermeister Joachim Streit, Streit-Liste)
Plan B: „Hochqualifizierte Mitarbeiter bieten ideale Voraussetzungen für die Ansiedlung von mittelständischen Betrieben im Landkreis Bitburg-Prüm.“ (Hans-Peter Stihl, Unternehmer)
Fazit: Bier geht immer.
EKO-StahlEISENHÜTTENSTADT
Bundesland: Brandenburg
Einwohnerzahl: 41.000
Beschäftigte bei EKO-Stahl: 5.000
Arbeitslosenquote: 19 Prozent
Abhängigkeitsfaktor: Hoch
Gefährdungsfaktor: Noch höher (Auslaufmodell Stahl, Hinlaufmodell Polen gleich um die Ecke, vor 5 Jahren konnte das Aus des Stahlwerks gerade noch verhindert werden)
Und sonst?: Stalinistische Prachtbauten sind leider nur in Berlin Kult.
Was wäre, wenn …!?: „Kein Kommentar.“ (Bürgermeister Rainer Werner, SPD)
Plan B: „Ein wichtiges Kriterium für die Erhaltung der Stadt ist eindeutig die Existenz von EKO-Stahl. Um das Fiasko einer Schließung von EKO zu verhindern, planen wir ein großes Unternehmensansiedlungsprojekt, das den Namen ‚Plan-B‘ trägt. Außerdem muss man immer bedenken: Solange man bereit ist, für einen Standort zu kämpfen, kann man viel erreichen.“ (Torsten Gottschlag, Büroleiter des Bürgermeisters)
Fazit: Gusseiserner Wackelkandidat
VolkswagenEMDEN
Bundesland: Niedersachsen
Einwohner: 51.000
Beschäftigte bei VW: 10.700
Arbeitslosenquote: 14 Prozent
Abhängigkeitsfaktor: Mittel
Gefährdungsfaktor: Niedrig („Passat“ Leitwerk, Emdener Hafen regelt 30 Prozent des deutschen Kraftfahrzeugumschlags)
Und sonst?: Emden hat den größten regenerativen Windpark Europas vor der Türe. Die Energie reicht, um den gesamten Strombedarf Emdens zu decken.
Was wäre, wenn …!?: „Emden ist gut aufgestellt. Die Stadt steht bundesweit an zweiter Stelle, was die Dynamik und die damit verbundenen Veränderungsprozesse zur Zukunftssicherung angeht.“ (Bürgermeister Alwin Brinkmann, SPD)
Plan B: „Die Schließung des VW-Werks wäre ein Super-GAU für die ganze Region. Deshalb versuchen wir den Standort mit einer aktiven Wirtschaftsförderung zu diversifizieren. Der Industriepark Frisia soll Autozulieferer anlocken.“ (Eduard Dinkela, Pressesprecher der Stadt Emden)
Fazit: Wind und Wasser wären Retter in der Not.
BASFLUDWIGSHAFEN
Bundesland: Rheinland-Pfalz
Einwohner: 160.000
Beschäftigte bei BASF: 35.000
Arbeitslosenquote: 12,1 Prozent
Abhängigkeitsfaktor: Extrem hoch
Gefährdungsfaktor: Niedrig (Chemie ist zukunftsträchtiger Entwicklungszweig, Wachstumsbranche, hohe Akzeptanz in der Bevölkerung)
Und sonst?: Ludwigshafen ist eine sehr junge Stadt. Sie ist erst 150 Jahre alt und damit nur zehn Jahre älter als die BASF. Der städtische Eigengeruch hat sich durch Filter verbessert.
Was wäre, wenn …!?: „Wir sind das Chicago am Rhein. Das BASF-Areal ist der größte chemische Verbundstandort der Welt. Wir sind als Stadt mit der BASF groß geworden und haben eine rasante Entwicklung hingelegt. Wir sind eine Traditions- und Schicksalsgemeinschaft. Es muss uns gelingen, den Standort Ludwigshafen für die Chemie zu erhalten und auszubauen.“ (Bürgermeisterin Eva Lohse, CDU)
Plan B: Gibt es nicht. Das Motto lautet: Alles oder nichts.
Fazit: Die Chemie stimmt.