piwik no script img

Es ist, was es ist: saudämlich

Die Berliner Band Mia singt Deutschland ein schwarz-rot-goldenes Liebeslied

Hand in Hand mit Martin Walser betreten Mia „neues deutsches Land“

Schwachsinn ist man von der Berliner Band Mia einigen gewohnt: Das NDW-Plagiat ihrer letztjährigen Debüt-CD verkaufte sie medienwirksam als Elektropunk; in diesem Jahr eröffnete sie gemeinsam mit einer Blaskapelle die Love Parade und lief – als Plädoyer „für Liebe und nicht für materielle Befriedigung“ – einmal um die Siegessäule herum. Grund genug eigentlich, die Band mit Aufmerksamkeit zu verschonen.

Mit ihrer neuesten Single verlieren Mia allerdings den Anspruch darauf, wegen eigener Dämlichkeit verschwiegen zu werden. „Was es ist“ heißt der Song, für dessen Refrain man sich bei Erich Frieds gleichnamigem Gedicht bedient hat: „Es ist, was es ist, sagt die Liebe. Was es ist, fragt der Verstand. Ich freu mich auf mein Leben, mache frische Spuren in den weißen Strand.“ Ein Liebeslied also, eine jugendlich-naive Klavierballade und im Grunde nicht weiter der Rede wert, wäre der weiße Strand nicht die deutsche Geschichte und würde die Liebeserklärung nicht Deutschland gelten. „Ein Schluck vom schwarzen Kaffee macht mich wach. Dein roter Mund berührt mich sacht. In diesem Augenblick, es klickt, geht die gelbe Sonne auf.“ Kaffee, Mund, Sonne – so unverschämt verbrämt sind einem die deutschen Nationalfarben noch selten untergejubelt worden.

Hand in Hand mit Martin Walser latschen Mia also den unberührten Strand entlang und, so trällert Sängerin Mieze weiter, „betreten neues deutsches Land“. Einige Takte später jubiliert sie: „Fragt man mich jetzt, woher ich komme, tu ich mir nicht mehr selber Leid. Ich riskier was für die Liebe. Ich fühle mich bereit.“ Da möchte man sogar Pathoslyriker Fried in Schutz nehmen, der 1938 vor der Ermordung durch die Deutschen nach England fliehen musste und für solcherlei textliche Vereinnahmung nun wirklich nichts kann. Trotz neuer Melodie – es ist, was es ist: das alte Lied vom gesunden Nationalgefühl und dem Schlussstrich, der endlich mal gezogen gehört. Als ob mangelnder Patriotismus je ein Problem dieses Landes gewesen wäre.

Was zur plötzlichen Deutschland-Euphorie Mias führte, beschreibt Produzent Nhoah im Internet: „Dann kam der Irak-Krieg. Ich in Buenos Aires und stand als Deutscher mit einem Mal für den Frieden. Ein völlig neues Gefühl! Taxifahrer hoben die Daumen. Menschen schüttelten mir die Hände und bestärkten mich. ‚Contra la guerra.‘ “ Was offensichtlich das Schönste an diesem Krieg ist: dass man endlich wieder ungehemmt für Deutschland sein darf.

„Diese positive Motivation“ ließ in Nhoah „die Idee wachsen, jetzt ‚Angefangen‘ zu starten“. Denn – o Graus – „Was es ist“ ist nur der Soundtrack zur dazugehörigen Kampagne. Selbige wurde von Mia und ihrem Plattenlabel R.O.T. unter dem sinnstiftenden Namen „Angefangen“ ins Leben gerufen, um eine Wertediskussion anzuregen. „Liebe, Respekt, Toleranz und Mut sind, obwohl sie Wahrheit darstellen, zu sinnlosen Worthülsen verkommen“, klagen Mia unter www.angefangen.de. Um gleich im nächsten Satz auch noch den letzten Sinn aus diesen Hülsen herauszuradebrechen: „Liebe, Respekt, Toleranz und Mut sind die wahren Werte, durch die eine Gesellschaft wertvoll und gemeinschaftlich oder eigennützig und somit instabil und am Ende gefährlich wird.“ Ja, was denn nun: Wird eine Gesellschaft durch Mut gemeinschaftlich oder durch Liebe eigennützig? Und was hat das alles mit Deutschland zu tun?

Mia-Schlagzeuger Gunnar fühlt sich von all den sinnlosen Wort- jedenfalls zu noch sinnloseren Satzhülsen inspiriert: „Große Begriffe, ich habe sie nicht erfunden. Sie sind mir begegnet. Bei der Suche nach einem Leben, das ich gerne lebe. Es ist etwas, das ich nicht allein tun kann, diese Worte existieren nur, weil wir viele sind und sie bekommen keinen Sinn, wenn wir sie nicht zusammen erleben … Ich möchte etwas weitergeben, das ich mir vorstellen kann, damit wir beide heute darüber nachdenken, was morgen möglich ist.“

Möglich ist – das zeigen Kampagne und Song – leider heute schon viel zu viel. Unklar bleibt allerdings, was derlei Geschwurbel nun konkret bedeutet. Auf die Frage, was an unserem Gesellschaftsleben zurzeit schwierig sei, entblödet sich Sängerin Mieze jedenfalls nicht, mit einem 20 Jahre alten Songzitat der Band Ideal zu antworten: „Alles dreht sich, alles dreht sich, ich ich ich ich.“ Klar, dass einem vor so viel Drehen ganz trieselig wird im Kopf, sodass man gar nicht mehr weiß, wo links und rechts ist, weil man überall Deutschland sieht. Ganz plemplem wird man von der ganzen Dreherei, sodass man auf die Frage, welches andere Leben man gern mal ausprobieren würde, schließlich antwortet: „Ich lebe erst mal dieses Abenteuer, bevor ich als singendes Aboriginemädchen, ausgerüstet mit Aboriginezauber, durch die Wüste ziehe.“ Arme Aborigines!

PHILIP MEINHOLD

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen