piwik no script img

Kein SeelenfriedenRangelei um Martin Walser

Es gibt Fronten, die sind nicht zu kitten. Links gegen rechts, Katz und Maus, AKW-Gegner contra Castor, Antifa et altera versus die NPD – und gegen Martin Walser. Fast wäre es ungefähr 50 Walser-Gegnern vom „Bündnis gegen Seelenfrieden“ am Montagabend gelungen, eine Lesung des Schriftstellers im Literarischen Salon in Hannover zu sprengen.

Auf ausgehängten Plakaten hatten „Unbekannte“ vermerkt, die Lesung sei auf Januar verschoben. Literaturhungrige, die dennoch den Weg zu Walser gefunden hatten, wurde am nahen U-Bahnhof bedeutet, die Lesung finde nicht statt. Am Veranstaltungsort, dem alten Conti-Hochhaus, entrollte das „Bündnis“ ein Transparent. Aufschrift: „Walser – geistiger Brandstifter. Deutschland denken heißt Auschwitz denken.“

Es kam zu Rangeleien. Als das „Bündnis“ versuchte, den etwa 250 Anwesenden klar zu machen, dass hier einem „sekundären Antisemiten“ ein Podium gegeben werde, „sind die Leute völlig ausgerastet“, berichtet eine Walser-Gegnerin: Es habe Pfui-Rufe wie mürrisches Tischeklopfen gegeben. Als Walser die Bühne betrat, um aus seinem Buch „Der Augenblick der Liebe“ zu lesen, soll es eine kurzes Augengefecht mit den Störern gegeben haben. Dann Abgang der Protestler, die Lesung endete gesittet. Er sei das „gewöhnt“, soll Walser später gesagt haben. Erst im vergangenen Jahr wurde eine Lesung in Göttingen wegen drohender Proteste abgesagt. Dabei ist die Walser-Wut eigentlich abgeebbt. Der Mann ist 77 Jahre alt.

Ja, es stimmt. Walser-Formulierungen wie „Moralkeule Auschwitz“ haben für den unterschwelligen Antisemitismus in Deutschland „problematische Auswirkungen auf die öffentliche Meinung“, wie unlängst eine Studie der FU Berlin zeigte. Nach dessen Dankesrede für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels im Oktober 1998 über den Umgang mit der Vernichtungsmaschinerie der Nazis hatte ihm Ignatz Bubis, damals Vorsitzender des Zentralrats der Juden, vorgeworfen, für eine „Kultur des Wegschauens und Wegdenkens“ plädiert zu haben. Schlimm war für Bubis und andere die Zustimmung nicht weniger Politiker und Intellektueller. Es stimmt wohl auch, dass Walsers Buch „Tod eines Kritikers“ nicht gerade fein auf Marcel Reich-Ranicki gemünzt war.

„Wir teilen nicht alle Positionen Walsers, aber wir lassen uns nicht vorschreiben, wer im Salon lesen darf“, sagt dagegen Jens Meyer vom Literarischen Salon. Der Lesezirkel ist in den zwölf Jahren seines Bestehens so etwas wie eine Institution in Hannover geworden. Christoph Schlingensief, Dietmar Dath oder Klaus Theweleit waren da – die Lesungen sind eigentlich als Forum liberalen Denkens bekannt. „Wir gehören doch eher zum linken Spektrum“, betont Meyer. Das „Bündnis“ hat angeboten, noch mal mit den Salon-Leuten über Walser zu reden. Meyer hat akzeptiert. Kai Schöneberg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen