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Archiv-Artikel

strafplanet erde: idyllische herbstarabeske beim mittwoch-club von DIETRICH ZUR NEDDEN

Auf der Parklandschaft lastete beklemmendes Schweigen. Die Debatte war an einen Punkt gelangt, wo diametral entgegengesetzte Meinungen unvereinbar aufeinander prallten. Dann sagte Hans-Jürgen: Ich bleibe dabei, das Herbstlaub ist schuld, dass die Regionalzüge dem Fahrplan hinterherfahren.

Inge stimmte zu. Das ist doch klar. Bei feuchter Witterung verwandeln sich die Blätter in einen schmierigen Film …

Schmierig wie eine Seifenoper auf RTL, sagte Martin. Lass das Kalauern! Ingrid war richtig eingeschnappt und sagte: Beim Bremsen kommen die Züge ins Rutschen und das verursacht Unebenheiten auf den Radreifen, so genannte Flachstellen.

Aha, sagte Martin und grinste. Die Flachstellen waren natürlich die nächste astreine Vorlage, aber er verkniff sich die fällige Bemerkung. Klaus blieb stur. Die Bahn ist selbst verantwortlich, sagte er, die spart sich in einen Stillstand hinein. Das dem Herbstlaub in die Schuhe zu schieben ist total unfair, weil es den typischen Charakter der Jahreszeiten missachtet.

Sabine sagte, ich habe keine Lust mehr auf solche blöden Themen. Außerdem nehme ich sowieso nur noch die Billigflieger. Das ist viel billiger, erst recht, wenn man online bucht. Wie wär’s mit einem Mühleturnier?

Das hielten alle für den rettenden Vorschlag. Plötzlich hatte der wolkenlose Himmel etwas Vertrautes, die Sonne spendierte großzügig Wärme. Thomas las Kastanien auf, Ramona sammelte Kastanienschalenstücke. Das würden die Spielsteine sein. Inzwischen ritzte Uwe mit einem Zweig das Muster eines Mühlebretts auf eine kahle Stelle der Wiese. Die Stimmung sank, als wir loslegen wollten. Niemand kannte die Regeln mehr so genau. Bekommt jeder Spieler acht, neun oder sogar zehn Steine? Ist doch egal, sagte Christiane. Das fanden die Zwanghaften in unserer Gruppe nicht, und sie sind nun mal in der Mehrheit. Trotzdem waren alle begeistert von dem Look des Entwurfs aus naturbelassenen Materialien. Wir ließen sie liegen für den Fall, dass jemand vorbeikäme, der vielleicht zufällig Mitglied im Welt-Mühlespiel-Dachverband ist und etwas Praktisches mit unserer Installation anfangen könnte. Ausgeschlossen, sagte Walter, der hat seinen Sitz in der Schweiz.

Unverhofft kommt oft, sagte Barbara. Ich lade euch ein und wir essen prima Apfelkuchen. Sie hatte sturmfreie Bude, weil ihr Mann mit den beiden Kindern an die Nordsee gefahren war. Neben der Fußmatte lagen zwei große rote Kürbisse „Vif d’etamps“ und zwei kleine weiße „Baby Boo“, ein nahezu kugelrundes Quartett.

Da habt ihr ja vor der eigenen Tür ein allegorisches Porträt der Familie inszeniert, sagte Claudius, und in der Tat korrespondierte die Form der Früchte mit der Leibesfülle sämtlicher Mitglieder. In der Richtung schien Barbara die Deko bisher nicht betrachtet zu haben und war ein bisschen beleidigt. Marie sagte, leg doch weitere Kürbisse dazu, dann hat niemand mehr das Asso, dass ihr das sein sollt.

Als ich den dritten Löffel Schlagsahne auf mein Kuchenstück klakste, sagte Andreas: Habt ihr schon gehört? Es gibt ein neues Buch mit Geschichten von Funny van Dannen.

Ach so, sagte ich, daher.