: Per Purzelbaum zum Kern
Einreißen, zerbröckeln, vergessen: Die kanadische Jazzsängerin Holly Cole bearbeitet bekannte Popsongs auf ganz eigene Weise. Das bemerkenswerte Ergebnis ist nun in Oldenburg, Bremen und Hamburg zu hören
Nur wenige Sängerinnen können wie sie einen Song lebendig werden lassen, indem sie ihre Stimme bockig, verliebt, albern oder todtraurig klingen lässt: In ihrem ganz eigenen, minimalistischen Stil dringt die kanadische Sängerin Holly Cole bis zum Kern der Lieder vor – um dann mit ihnen Purzelbäume zu schlagen. Nach dieser Methode hat sie auf ihrer neuen CD Shade neben Songs von Cole Porter und Rodgers/Hammerstein auch den Klassiker „God only knows“ in eine wunderschön triste Ballade verwandelt.
taz: Sie trauen sich ja einiges, wenn sie „God only knows“ neu interpretieren. Die Originalversion von den Beach Boys scheint übermächtig, und doch bekommt er bei ihnen eine ganz eigene, ebenso intensive Stimmung. Wie haben Sie das gemacht?
Holly Cole: Ich nehme mir einen Song und reiße ihn ein, zerbröckle ihn, versuche, die Originalversion zu vergessen, und konzentriere mich ganz auf den Text und die Noten. Die geben mir alle Informationen, die ich brauche, und ich umgebe das Lied dann mit neuen, eigenen Ideen. Jeder Song hat ein eigenes Leben, das unabhängig vom Komponisten ist. Der wollte damit etwas ganz Persönliches, für ihn Wichtiges ausdrücken, aber mich berührt vielleicht etwas ganz anderes in seinen Zeilen.
Sie sprechen oft von der Essenz eines Songs, und Sie arrangieren Ihre Musik eher minimalistisch. Suchen Sie immer nach dem einen, perfekten Ton?
Die Essenz eines Liedes liegt in Melodie und Text. Und die wirklich guten Songwriter finden sie immer auf dem einfachsten, minimalistischen Weg. Die besten Sängerinnen und Sänger interpretieren es dann auch so, zum Beispiel indem sie in die Stücke nicht zu viele Verzierungen einbauen.
Wenn solch ein Song dann im Studio aufgenommen wurde: Ist das Ihre ultimative Version, oder verändert er sich noch weiter, wenn sie ihn singen?
Sicher, er wächst immer weiter. Die Lieder entwickeln sich zum Teil extrem dadurch, dass ich sie live singe, und sie verändern sich auch von Konzert zu Konzert. In Hamburg mag das Publikum die Musik vielleicht intensiver, in Bremen lieber mit mehr Humor und in Frankfurt melancholisch.
In Bremen wird bei Ihnen in der Tat viel gelacht – nicht nur bei den Ansagen, sondern oft auch während der Lieder. Wie wichtig ist Ihnen der Humor in der Musik?
Viele Leute scheuen davor zurück, weil sie meinen, der Humor nimmt den Songs ihre Intensität. Aber ich denke, genau das Gegenteil ist der Fall, denn das Lachen gehört wie die Sexualität und die Melancholie zu den unergründlichen Tiefen der Menschen.
Ihr Bremer Publikum kennt Sie ja inzwischen so gut, dass es ihre Ansagen für sie beendet und ganz von selbst etwa bei dem Song „Trust in me“ aus „Dschungelbuch“ anfängt, wie die Schlange Ka zu zischen.
Darüber freue ich mich besonders. Mein Publikum zischt für mich sonst nur in Montréal.
Interview: Wilfried Hippen
Samstag, 20.30 Uhr, Kulturetage, Oldenburg, Bahnhofstraße 11; Sonntag, 20 Uhr, Schlachthof, Bremen, Findorffstraße 51; Mittwoch, 20 Uhr, Fabrik, Hamburg, Barnerstraße 36