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Archiv-Artikel

Blut gefriert von allein

In alle möglichen Richtungen das Land verlassen: Das Kino Arsenal zeigt eine Reihe mit Spiel-, Kurz- und Dokumentarfilmen aus Österreich

Österreich hat in Filmdingen schon immer etwas anders als Deutschland getickt. So gab es zum Beispiel den Bruch nicht, den hierzulande das Oberhausener Manifest losgetreten hat. Dafür blühten seit den frühen Sechzigerjahren die verschiedensten Formen von Experimentalfilm auf, die man noch heute mit Namen wie Hans Scheugl, Peter Kubelka oder Kurt Kren verbindet. In den Achtzigerjahren schienen sich die Bewegungen wenigstens im Spielfilm zu synchronisieren, denn auch Österreich wurde von der Komödienplage heimgesucht. Aber irgendwas muss auch diesmal anders gelaufen sein, denn die folgenden Jahre wurden zu einer überaus produktiven Zeit. Seitdem konnten sich Regisseure wie Michael Haneke und Ulrich Seidl etablieren und die neuen Filme von Barbara Albert oder Ruth Mader zeigen, dass es auch mit dem Nachwachsen funktioniert. Diese neue Welle eines „unabhängigen“ künstlerischen Films wurde von Anfang an vom Grazer Filmfestival „Diagonale“ mitgetragen. Aber auch in Österreich läuft manchmal nicht alles so glatt wie zu erwarten – vor allem dann nicht, wenn die rechte Koalition die kulturpolitischen Keulen schwingt.

Als Anfang des Jahres ein Programm mit österreichischen Filmen für das Arsenal in die Planung ging, da war der Kurator dieser Reihe, Constantin Wulff, direkt betroffen. Als Codirektor der Diagonale war seine Vertragsverlängerung verschleppt worden, und kurze Zeit später wurde er mit der Tatsache konfrontiert, dass ihn Miroljub Vuckovic, der Direktor des Belgrader Filmfestivals, ersetzen würde. Da mit dieser Maßnahme der künstlerisch interessantere Teil der österreichischen Filmwirtschaft getroffen werden sollte, hagelte es Boykottaufrufe und Gegenprojekte, der Schaden für den österreichischen Film ist noch gar nicht absehbar.

Obwohl dem Arsenal-Programm damit eine fast politische Dimension zuwächst, sollte man es doch vor allem als Möglichkeit für einen fälligen Überblick betrachten. Eingerahmt zwischen die jeweils aktuellen Filme von Ulrich Seidl („Jesus, du weißt“) und Michael Haneke („Wolfszeit“) werden an acht Terminen vor allem Kurz-, Experimental- und Dokumentarproduktionen gezeigt. Historisches von Scheugl, Kren und Kubelka wurde ebenso programmiert wie Filme, die Annahmen über das österreichische Faible für Tod, Pathologie und Psychiatrie bestätigen. In „Exploration“ (2002) rekonstruiert Joerg Burger eine Lehrsitzung, die auch eine intensive zwischenmenschliche Situation zwischen einer angehenden Psychologin und einer geschauspielerten Manikerin ist. „Ägypten“ (1997) von Kathrin Resetarits ist ein schöner Stummfilmessay über die Wunschäußerungen hörbehinderter Menschen in Gebärdensprache. In „Dream Work“ (2001) kopiert Peter Tscherkassky, einer der profiliertesten österreichischen Experimentalfilmer, Filmausschnitte mit Barbara Hershey zu verkanteten Überblendungen, die in der Rekonstruktion von Traummechanik das große Kino der starken cinematischen Eindrücke ersehnen, das man mit knackigen Schwarzweißbildern in Cinemascope verbindet.

Einige Filme thematisieren jedoch auch die seit dem Jahr 2000 bestehende politische Situation. In „Zero Crossing“ (2000) von Johannes Holzhausen wird in diversen Interviews noch einmal der Schock und die Verzweiflung lebendig, die von der Bildung der ÖVP-FPÖ-Koalition im Jahr 2000 im linken Rest der Bevölkerung ausgelöst wurde. Die Dokumentation „Kronenzeitung: Tag für Tag ein Boulevardstück“ (2002) von Nathalie Borgers zeigt dagegen, womit es eine linke Kunstproduktion in Österreich immer auch zu tun hatte. Der Blick hinter die Kulissen von Österreichs mächtigster Zeitung – drei von acht Millionen Österreichern lesen sie – zeigt vor allem die grausige Gemütlichkeit reaktionärer Machtausübung, wie glitschige Schnöseligkeit auf das Joviale trifft. Da braucht es nicht viel Polemik, da gefriert einem das Blut ganz von allein. Hat hier eine Belgierin tief in Österreichs Herz geblickt, so muss in „Elsewhere“ (2001) Nikolaus Geyrhalter das Land gleich in alle möglichen Richtungen verlassen, um Luft zum Atmen und ein Bild von Welt zu bekommen.

MANFRED HERMES

Arsenal, Potsdamer Str. 2, 14.–29. 11., Termine siehe Programm