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Archiv-Artikel

Kopfschuss im Westen

Für das Münchner Haus der Kunst hat die kanadische Sammlerin Ydessa Hendeles einen Parcours zu Liebe, Glück, Wut und Hass angesichts der Katastrophen des 20. Jahrhunderts zusammengestellt

von IRA MAZZONI

„Wo bleibt die Kunst?“, haben sich die Konservatoren gefragt, als sie die Kisten aus Toronto öffneten. Dieselbe Frage wird auch das Publikum stellen, das sich daran erinnert, dass Christoph Vitali die legendäre Barnes-Collection nach München holte. Eine Trophäenschau des Impressionismus und der frühen Moderne. Die Beschläge, Truhen, Fayencen und Masken des eigenwilligen Sammlers waren in Philadelphia geblieben. Im Haus der Kunst gab es nur „High-Art“, kein Low.

Das ist jetzt anders. Wenn Chris Dercon zum Auftakt seiner Ägide die Sammlung der Kanadierin Ydessa Hendeles zeigt, die gern als zeitgenössische Barnes-Collection tituliert wird, dann hat die Sammlerin absolute Autorität. „Partners“ heißt die Show vieldeutig. Eine Schau ohne Trophäen, aber voll Bildern und Metaphern.

Hendeles, deren persönliche, eigenwillige Art des Kuratierens in der Kunstszene international Anerkennung und Bewunderung findet, hat für das Haus der Kunst einen Geschichtsparcours des 20. Jahrhunderts entwickelt. Drei Parallelpassagen, die sich als Sackgassen entpuppen und zur Umkehr zwingen. Noch ehe der Besucher sich’s versieht, noch ehe er ein Kunstwerk im herkömmlichen Sinne entdeckt hat, ist er mitten in der Kunst, in der Ausstellungs- und Erzählkunst der Ydessa Hendeles, die den Besucher zum Verbündeten, zum Komplizen – zum Partner macht. Vorausgesetzt, er lässt sich auf die bisweilen versteckten Hinweise, auf „übertragene“ Bedeutungen ein. Programmatisch macht diese Ausstellung klar: Im Haus der Kunst ist die Zeit des L’art pour l’art vorbei: Nicht interesseloses Wohlgefallen, sondern persönliches Engagement ist gefragt.

Die Erzählung beginnt ganz leise mit einer einzigen kleinen Fotografie, einem Selbstporträt von Diane Arbus, aufgenommen im Februar 1945. Ein Spiegelbild als Lebenszeichen für den in Birma stationierten Mann, zwei Monate vor der Geburt der ersten Tochter. Die Ausstellung ist voll von Lebenszeichen, von Beweisen der Existenz, die immer auch den Tod implizieren. Es ist kein Zufall, wenn das kleine, sorgenvoll-traurige Bildnis eine Blickachse quer zu den drei Bildpassagen der Ausstellung herstellt: Im nächsten Kopfraum steht Giulio Paolinis „Mimesi“, die spiegelbildliche Aufstellung zweier Gipsabgüsse der Medici-Venus – ein Vexierspiel von Identität und Differenz. Dabei wirft Jeff Walls Großdia „The Stumbling Block“, das im dritten Kopfraum ausgestellt ist, Licht auf die Szene. Der surreale Schnappschuss eines Vorfalls in den Straßen von Vancouver entpuppt sich als Allegorie. Der abgebildete menschliche „Stolperstein“ soll die Passanten tatsächlich imaginär zum Überdenken des eigenen Wegs, zum Nachdenken über sich selbst anregen. Dies ist nur ein roter Faden, der sich durch die dicht versponnene Inszenierung von Ydessa Hendeles zieht.

Zurück zum ersten Raum mit den drei verloren wirkenden Sinnbildern: Auf der Rückwand des Arbus-Porträts findet sich eine Gruppenaufnahme der Verbrecherbande „The Wild Bunch“, aufgenommen von John Swartz im Jahr 1900. Die kesse Selbstdarstellung der „ehrenwerten“ Herren wurde zum Fahndungsfoto. In Bolivien gestellt, gaben sich Butch Cassidy und Sundance Kid den Kopfschuss. Bilder haben eine eigentümliche Macht. Auch dies belegt die Ausstellung ausführlich. Merkwürdig auch, dass die Geschichten, die eine Kettenreaktion von Assoziationen auslösen sollen, nicht abgebildet sind. Es ist meist die abwesende Geschichte hinter den offensichtlichen „Zeichen“, die die Verbindung zu den nächsten Objekten herstellt. So ergeben sich redundante Motive, wie die Identität von Jäger und Gejagtem, von Täter und Opfer.

Dafür steht auch Minnie Mouse in der Vitrine. Das Blechspielzeug aus der Fabrikation von Rogelio Sanchis erzählt nicht nur vom Leinwandkrieg der Trickfiguren, bei dem Minnie und Mickey über den stummen Kater triumphieren. Mit der Maus, die den Kater im Koffer gefangen mit sich trägt, identifiziert sich auch die jüdische Emigrantin Hendeles. Art Spiegelman hatte die Nazis als Katzen, die verfolgten Juden als Mäuse dargestellt. Die Gefangennahme der Katze hat auch ihre Tücken: Der Feind reist als Ballast der Geschichte mit und versucht vehement, sich zu befreien.

Sinnbilder über Sinnbilder produziert Hendeles’ enzyklopädisch angelegtes „Teddy Bear Project“. 3.000 Fotografien von Kindern, Familien, Soldaten und Pin-up-Girls mit Plüschtier füllen zwei Bibliothekssäle und geben Einblicke in die kollektive Psyche des 20. Jahrhunderts. Der Bär – ein Partner, der überall für alles herhalten musste: für Liebe, Glück, Trauer, Wut und Hass gleichermaßen; geknuddelt, erschossen und weggeworfen. Stunden können vergehen, bevor man diesen Gedächtnisschrein verlässt und in einen leeren Raum hinter einen knienden Knaben tritt. Umkreist man das Kind, erschrickt man über sein Gesicht, Hitlers Gesicht. So kehrt „Er“ als Stoffpuppe mit Echthaar ins Haus der ehemals „deutschen“ Kunst zurück: In die Knie gezwungen vom Künstler Maurizio Cattelan oder doch nur gefährlich verniedlicht?

Die Dramaturgie der Ausstellung zwingt an dieser Stelle zur Umkehr, zur Wiederholung des bereits Gesehenen unter anderem Vorzeichen, bevor das nächste Kapitel der Erzählung aufgeschlagen wird. Jede Passage befasst sich mit Katastrophen und endet mit einem Schock. Zuletzt ist es die brutale Banalität von Paul McCarthys Peepshow „Saloon“, die zurückverweist auf den Wilden Westen vom Anfang. Hier droht die sorgfältig komponierte, polyvalente Geschichte von Ydessa Hendeles ins Triviale abzugleiten. Trotzdem – die Ausstellung bietet eine fesselnde Geschichte mit offenem Ende.

Bis 15. 2., Haus der Kunst, München