: Kein sicherer Platz am sicheren Ort
„Accept“, Hamburgs einziges Therapiezentrum für traumatisierte Flüchtlinge, steht vor der Schließung. Trotz massiver Kritik von Ärzten und Therapeuten stellt CDU-Senat Förderung ein. Dabei ist die Hilfsstelle überlaufen – und kein Ersatz in Sicht
von Eva Weikert
Hemo Atmaca beugt sich über Akten. Der Sozialarbeiter schlägt die Deckel auf und sagt: „Die warten alle.“ Namen stehen da, auch der des Kurden, der Atmaca gegenübersitzt: Ali B. braucht Psychotherapie und ist darum zu Accept gekommen, Hamburgs einzigem Therapiezentrum für Kriegs- und Folteropfer. Auf Kurdisch berichtet der 37-Jährige seinem Landsmann, was er in der Türkei erlitten hat: Paramilitärs hätten ihn eingesperrt, gefoltert, durch Schläge seine Rippen gebrochen und innere Organe verletzt, sagt der Flüchtling, dem hiesige Ärzte ein Trauma attestieren und Therapie empfehlen. Doch daraus wird nichts: Am 15. November soll Accept schließen, weil der CDU-Senat das Angebot für überflüssig hält.
Seit nahezu 20 Jahren fördert die Stadt die Anlaufstelle für traumatisierte Flüchtlinge am Grindelberg – zuletzt mit 355.000 Euro jährlich. Jetzt will Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) den Geldhahn zudrehen und rechtfertigt das mit sinkenden Flüchtlingszahlen (taz berichtete).
Was dann aus ihren Patienten wird, darüber macht sich Sabine von der Lühe große Sorgen. Bisher sei es nur gelungen, für einen Bruchteil Ersatz zu finden, berichtet die Accept-Therapeutin etwas gehetzt zwischen zwei Gesprächsterminen. Draußen vor ihrem gemütlichen Büro warten Leute auf einem alten Sofa. Ständig klingelt irgendwo auf der Etage ein Telefon und kreuzen Menschen den schmalen Flur zwischen den Beratungszimmern.
Rund 500 Menschen nutzen pro Jahr die psycho-soziale Sprechstunde, die Accept neben Therapien bietet. „Da geht es von Schulproblemen über Abschiebeangst bis zu Obdachlosigkeit um ein ganzes Spektrum an Problemen“, erklärt Mitarbeiter Patrick Agyimang. Das mehrsprachige Team aus sieben Angestellten, darunter zwei Psychotherapeutinnen, kümmert sich zudem um jährlich etwa 90 Therapiepatienten. „Wir sind überlaufen“, sagt Sabine von der Lühe.
Zwar geht die Zahl der registrierten Flüchtlinge tatsächlich zurück, wie die Therapeutin einräumt. Dass Traumata oft verspätet ausbrechen und nicht selten mehrjährige Behandlung geboten ist, davor verschließe der Senat aber die Augen. Zugleich sei ein Teil der Not hausgemacht. Die hiesige Praxis der Kettenduldungen mache Flüchtlinge regelrecht krank. So vergibt die Ausländerbehörde hauptsächlich den unsicheren Duldungsstatus, der Abschiebung jederzeit erlaubt. „Hamburg ist darum für Flüchtlinge kein sicherer Ort mehr, wo sie zur Ruhe kommen können“, warnt von der Lühe, deren Patienten zuhause Scheinerschießungen, Vertreibung und Vergewaltigung erlebten. Die meisten stammen aus dem kurdischen Teil der Türkei, Ex-Jugoslawien, Iran und Irak.
Künftig sollen sie bei niedergelassenen Therapeuten Hilfe finden. Eine Stellungnahme der Psychotherapeutenkammer, derzufolge es nur drei Kollegen mit Kassenzulassung in Hamburg gibt, „die über die notwendigen sozio-kulturellen und fachlichen Kenntnisse zur Traumatherapie verfügen“, ignoriert der Senat. „Ich habe Zweifel, dass das Regelsystem der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten so ohne weiteres in der Lage ist, diese Menschen aufzunehmen“, schloss sich jetzt der Präsident der Hamburger Ärztekammer, Michael Reusch, der Kritik an: „Da gäbe es neben Kapazitätsengpässen sicher auch sprachliche Schwierigkeiten.“
Das weiß auch die Sozialbehörde und schlägt darum vor, bei Sprachbarrieren Angehörige in den Therapien dolmetschen zu lassen. „Absurd“ nennt Therapeutin von der Lühe diesen Plan. So sei Therapie gerade dann geboten, wenn das soziale Umfeld überfordert ist. „Die Idee zeigt in erschreckender Weise, mit welch geringem Fachverstand die Behörde gegen uns entschied“, rügt Accept-Chefin Naciye Demirbilek. Nur den Kopf schütteln kann sie über die Behauptung, die drei verbleibenden städtisch geförderten Stellen von Arbeiterwohlfahrt, Caritas und Rotem Kreuz böten Ausgleich. „Die schicken die Leute ja zu uns und machen auf Behördengeheiß hauptsächlich Rückkehrberatung.“
Auch Ali B. ist hier nur geduldet. Jetzt kämpft er vor Gericht für ein Bleiberecht. Nach Nordkurdistan will er nicht zurück. Erneut fürchte er von Paramilitärs des Terrorismus verdächtigt und drangsaliert zu werden. „Mein Cousin wurde bereits ermordet.“