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Archiv-Artikel

ISRAELS GEHEIMGEFÄNGNIS Anlage 1391

Rezession, anhaltende Unsicherheit und diplomatische Isolierung – diese Bilanz macht die Regierung Scharon nicht irre. Außer den USA und Israel haben in der UN-Vollversammlung nur zwei Ministaaten gegen eine Verurteilung des israelischen Mauerbaus gestimmt, der einer weiteren Landnahme und der Absicherung der israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten dient. Während Scharon die Genfer Vereinbarung zwischen der israelischen Opposition und gemäßigten Palästinensern als „Verrat“ denunziert, schafft seine Hardliner-Politik unter den Palästinensern ständig neue Feinde. Seit Beginn der zweiten Intifada sind die Gefängnisse überfüllt. Und jetzt ist die Nachricht durchgesickert, dass Israel mindestens ein Geheimgefängnis unterhält.Von JONATHAN COOK *

DIE Betonfestung mit der offiziellen Bezeichnung „Anlage 1391“ liegt verborgen hinter hohen Mauern und Kiefern auf einer Anhöhe irgendwo in der Nähe der Grünen Linie, der alten Grenze zwischen Israel und den 1967 besetzten Gebieten. Die bewaffneten Posten auf den beiden Wachtürmen haben freien Blick über die umliegenden Felder und auf den nahe gelegenen Kibbuz. Von außen gleicht der Bau den anderen Polizeistationen, die die Briten während der 1930er-Jahre überall im Mandatsgebiet Palästina errichteten. Heute dienen viele von ihnen als Militärlager. Sie haben keine Namen, nur Schilder mit ihrer jeweiligen Nummer weisen dezent auf sie hin.

Doch die Anlage 1391 ist anders. Auf Karten ist sie nicht verzeichnet, aus Luftaufnahmen ist sie wegretuschiert, und vor einiger Zeit hat man auch das Straßenschild mit der Nummer entfernt. In den israelischen Medien ist jeder Hinweis auf seine geografische Lage verboten. Die Regierung erklärt, das Versteckspiel sei notwendig, „um zu gewährleisten, dass die Sicherheit des Landes nicht beeinträchtigt wird“; und laut Angaben einiger israelischer Anwälte können ausländische Journalisten, die Informationen über die Anlage 1391 verbreiten, sogar des Landes verwiesen werden.

Doch obwohl die iraelische Regierung alles daransetzt, die Informationssperre aufrechtzuerhalten, wird immer mehr klar, was in den letzten zehn Jahren in der Anlage 1391 geschehen ist. Eine israelische Zeitung hat sie bereits als „Israels Guantánamo“ bezeichnet, sie also mit dem berüchtigten Camp X-Ray verglichen, in dem die US-Armee seit nunmehr fast zwei Jahren Gefangene der al-Qaida und der Taliban festhält.

Im Oktober dieses Jahres fand unter der Leitung des südafrikanischen Verfassungsrichters Richard Goldstone (ehemals Chefankläger der internationalen Strafgerichtshöfe über die Verbrechen in Jugoslawien und Ruanda) ein Symposium von Völkerrechtsexperten statt, auf dem das Camp X-Ray als ein „schwarzes Loch“ bezeichnet wurde, da die Insassen dort der in den Genfer Konventionen festgelegten Grundrechte beraubt sind. Im Abschlussbericht dieses Symposiums heißt es: „Staaten können Häftlinge, für die sie verantwortlich sind, nicht vollständig der Zuständigkeit internationaler Gerichte entziehen.“

Verglichen mit Guantánamo werden die Bestimmungen des internationalen Rechts in Anlage 1391 noch flagranter verletzt. Niemand weiß, wo genau das israelische Militärgefängnis liegt, es existieren keine mit Teleobjektiv aufgenommenen Fotos oder Filmaufnahmen von den Gefangenen, wie wir sie aus Guantánamo kennen. Außerdem wurde Anlage 1391 im Unterschied zu Guantánamo noch nie von einer unabhängigen Instanz inspiziert, nicht einmal vom Internationalen Roten Kreuz. Fast alles, was sich hinter seinen Mauern abspielt, ist und bleibt ein Geheimnis.

Zu Camp X-Ray konnte Richard Goldstone immerhin feststellen, dass „bislang gegen keinen der 662 Insassen ein reguläres Verfahren eröffnet“ wurde. Wie viele Gefangene in Anlage 1391 festgehalten werden, weiß dagegen fast niemand in Israel – bis auf einige wenige Mitglieder der Regierung sowie der Sicherheitsorgane. Die Aussagen früherer Insassen lassen jedoch den Schluss zu, dass es sehr viele sind und dass es sich vielfach um Libanesen handelt, die im Laufe der 18 Jahre dauernden Besetzung des Südlibanon in israelische Gefangenschaft gerieten.

Auch vier Monate nach dem ersten Hinweis auf die Existenz des Geheimgefängnisses ist es den israelischen Gerichten noch nicht gelungen, die Regierung zu konkreten Informationen über die Anlage 1391 zu zwingen. Die israelische Rechtsanwältin Leah Tsemel, die vor allem Palästinenser verteidigt, meint: „In diesem Gefängnis können die Inhaftierten buchstäblich verschwinden – möglicherweise für immer. Ich sehe keinen Unterschied zu den Gefängnissen irgendwelcher miesen Diktatoren in Südamerika.“

Aus den wenigen Informationen, die sich unter Mühen zusammentragen lassen, ergibt sich der Eindruck, dass Verhöre unter Anwendung von Foltermethoden keine Seltenheit sind. Ein berühmter Häftling, der Libanese Mustafa Dirani, Mitglied der inzwischen aufgelösten schiitischen Amal-Miliz, den die Israelis 1994 aus dem Libanon entführt hatten und der lange als verschwunden galt, sagt ebenfalls aus, dass er während der Verhöre gefoltert wurde. Vor kurzem haben die Israelis zugegeben, dass er damals in die Anlage 1391 verbracht worden war.

Bis zur Operation „Schutzwall“, dem Einmarsch der israelischen Armee ins Westjordanland im April 2002, waren in dem Komplex offenbar fast ausschließlich gefangene Ausländer untergebracht, vornehmlich Jordanier, Libanesen, Syrer, Ägypten und Iraner. Ihre genaue Zahl ist unbekannt. Das Komitee „Freunde der Gefangenen“ in Nazareth behauptet, fünfzehn Bürger arabischer Staaten seien innerhalb des israelischen Gefängnissystems „verloren gegangen“.

Auch etliche Fälle von Entführungen, vor allem auf libanesischem Boden, werden den Israelis zugeschrieben. So wurden zum Beispiel vier iranische Regierungsfunktionäre, die 1982 in Beirut „verschwanden“, nie wieder aufgefunden. Während der jüngsten Verhandlungen zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah-Miliz haben auch die Familien dieser Verschwundenen den israelischen Staat um Auskunft über den Verbleib ihrer Angehörigen ersucht.

Isolationshaft und Foltermethoden

ALS es im Zuge der Operation „Schutzwall“ im Westjordanland zu Massenverhaftungen kam, wurden auch Palästinenser in die Anlage 1391 überstellt, da das israelische Gefängnissystem die vielen Häftlinge nicht mehr aufnehmen konnte. Eine Zeit lang fiel das „Verschwinden“ dieser Gefangenen in dem allgemeinen, durch die Razzien in den besetzten Gebieten verursachten Chaos nicht weiter auf. Doch im Oktober 2002 versuchten Leah Tsemel und die israelische Menschenrechtsgruppe Ha’Moked per Gericht an Informationen zu gelangen. Sie forderten, dass ihre Klienten einem Haftrichter vorgeführt würden; dadurch sollten die Behörden gezwungen werden, den Aufenthaltsort der vermissten Palästinenser preiszugeben.

Derart in die Enge getrieben, erklärten die israelischen Behörden damals, die Vermissten würden an einem geheimen Ort gefangen gehalten. Genaueres ließen sie nicht verlauten. Alle weiteren Nachfragen landeten bei Madi Harb, dem Leiter einer Antiterroreinheit, die dem Gefängnis von Kishon in der Nähe von Haifa zugeteilt ist. Mittlerweile hat die israelische Regierung zugegeben, dass sie einige wenige Palästinenser in der Anlage 1391 gefangen hält. Allerdings behaupten viele andere Palästinenser, durch dieses geheime Gefängnis geschleust worden zu sein; der Prominenteste von ihnen ist Marwan Barguti, Generalsekretär der Fatah, der derzeit in Tel Aviv vor Gericht steht.

Nach israelischen Angaben wurden inzwischen alle Betroffenen in normale Gefängnisse überführt. Bislang wurde nur einer, ein 50-jähriger Geschäftsmann aus Nablus namens Baschar Dschadalla, auf freien Fuß gesetzt. Ihn hatte man zusammen mit seinem 23-jährigen Cousin Mohammed Dschadalla am 22. November 2002 an der Allenby-Brücke festgenommen, als sie von Jordanien aus nach Israel einreisen wollten. Mohammed Dschadalla versichert an Eides statt, dass die Aussage, er sei Hamas-Mitglied, unter Folter erpresst worden sei.

Im Unterschied zu den meisten anderen Häftlingen erklärt Baschar Dschadalla jedoch, dass er weder geschlagen noch körperlich gefoltert wurde, was er vielleicht seinem Alter verdanke. Vielmehr sei er monatelang in fast vollständiger Isolierung gehalten worden, ohne je seine Bewacher zu Gesicht zu bekommen. Seine winzige Zelle (zwei mal zwei Meter) hatte keine Fenster, die Wände waren schwarz gestrichen, das einzige Licht kam von einer schwachen Glühbirne, die 24 Stunden am Tag brannte. Man verweigerte ihm den Kontakt zu einem Anwalt ebenso wie die Begegnung mit anderen Insassen, und wenn er bei den Verhören fragte, wo er sei, erhielt er zur Antwort: „Auf dem Mond.“

Damit er nichts sehen konnte, musste er jedes Mal, wenn er seine Zelle verließ, eine geschwärzte Brille tragen und seine Augen zusätzlich mit einem Tuch bedecken: „Auch dann, wenn ich in einen anderen Raum gebracht wurde, also ins Verhörzimmer oder auf die Krankenstation. Erst wenn ich wieder in meiner Zelle war, konnte ich die Brille wieder abnehmen.“

Die Menschenrechtsorganisation Ha’Moked wird dem Gericht ein Gutachten des Jerusalemer Psychiaters Dr. Jehuakim Stein über die Auswirkungen solcher Haftbedingungen vorlegen. Demnach stellt die Behandlung von Baschar Dschadalla und anderen Palästinensern, die ähnliche eidesstattliche Erklärungen abgegeben haben, eine Form von mentaler Folter dar, die zu dem so genannten DDD-Syndrom (dread, dependency, debility) führe, also zu Angstzuständen, Schwächeanfällen und dem Gefühl, völlig ausgeliefert zu sein. Mangelnde Ernährung und Schlafentzug, das Fehlen von körperlicher Bewegung und geistiger Anregung und insbesondere von Kontakten zu anderen Menschen – zu Anwälten, Familienangehörigen, Mitgefangenen oder Wärtern –, all diese Maßnahmen zielen nach Ansicht des Psychiaters darauf ab, die Widerstandskraft der Häftlinge in Verhörsituationen zu schwächen und sie dazu zu bringen, sich dem Vernehmungspersonal völlig auszuliefern. Wenn körperliche Schmerzen dazukommen (oder auch nur die Androhung von Folter), die Furcht, getötet zu werden und das Gefühl, endgültig und von allen vergessen zu sein, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Insassen in „Angstzustände“ verfallen. Das bestätigen die Aussagen Baschar Dschadallas: „Nicht zu wissen, wo man sich befindet, und nicht einmal die Gesichter der Gefängniswärter zu sehen, hat bei mir extreme Ängste ausgelöst. Das Schlimmste aber war das Gefühl, ich könnte einfach verschwinden, ohne dass meine Familie erfahren würde, was mit mir geschehen ist.“

Baschar Dschadallas Aussagen entsprechen den Berichten anderer Gefangener. Sie schildern, wie sie auf stockigen, stinkenden Matratzen schlafen mussten, dass die Toiletteneimer selten geleert wurden, dass es zwar einen Wasserhahn, aber kein Waschbecken gab, und die Wärter die Zellen überwachten, ohne dass man sie sah. Laute Geräusche hinderten sie am Schlafen, und zuweilen war die Klimaanlage so eingestellt, dass sie vor Kälte zitterten.

1999 wurde in Israel die Folter vom Obersten Gerichtshof verboten, doch in den eidesstattlichen Erklärungen der Gefangenen werden immer wieder Folterpraktiken beschrieben; laut Angaben von Hannah Friedmann, der Vorsitzenden des Öffentlichen Komitees gegen Folter, registriert ihre Organisation seit Beginn der zweiten Intifada eine ständige Zunahme derartiger Praktiken in israelischen Gefängnissen. Erst kürzlich gaben in einer Umfrage 58 Prozent der palästinensischen Häftlinge an, dass man sie körperlich misshandelt habe, etwa durch Schläge, Tritte und Püffe, aber auch indem man sie zwang, schmerzhafte Körperhaltungen einzunehmen, oder indem man ihre Handschellen zu eng einstellte. Solche und noch üblere Praktiken waren in „Anlage 1391“ offenbar keine Seltenheit. Baschar Dschadallas Cousin Mohammed hat eidesstattlich erklärt, er sei wiederholt geschlagen worden. Außerdem habe man seine Handfesseln zu stramm gezogen, ihn nicht auf Toilette gehen lassen und ihn derart an einem Stuhl festgebunden, dass er in einer schmerzhaften Haltung verharren musste. Zudem habe man ihn am Einschlafen gehindert, indem man ihn, jedes Mal wenn er eingenickt war, mit Wasser übergoss. Ferner berichtet er, man habe ihm während des Verhörs Bilder von mehreren Familienangehörigen gezeigt und gedroht, dass man ihnen etwas antun werde: „Sie brachten mir ein Bild, das meinen Vater in Gefängniskluft zeigte, und sie drohten, ihn einzusperren und zu foltern.“

Doch diesen Gefangenen erging es höchstwahrscheinlich besser als den übrigen arabischen Inhaftierten, die schon lange in Anlage 1391 einsitzen. Die Palästinenser, die nur vorübergehend in dem geheimen Gefängnis saßen, blieben in der Obhut des „Allgemeinen Sicherheitsdienstes“, besser bekannt unter dem Namen Schin Beth, der für die Verhöre in normalen israelischen Gefangenenzentren zuständig ist. Die Ausländer in Anlage 1391 fallen dagegen in die Zuständigkeit einer Spezialabteilung des israelischen Militärgeheimdienstes, der so genannten Einheit 504. Wie diese Gefangenen behandelt werden, wird aus einem Dokument deutlich, das die israelischen Anwälte im Fall Dirani als Beweismittel einbrachten.

Mustafa Dirani wurde, wie bereits erwähnt, im Mai 1994 aus seinem Haus im Libanon entführt, da die israelischen Agenten sich von ihm Informationen über den Verbleib des israelischen Piloten Ron Arad erhofften, dessen Flugzeug 1986 über dem Südlibanon abgestürzt war. Dirani hatte Arad zwei Jahre lang gefangen gehalten, anschließend soll er ihn an den Iran „verkauft“ haben.

Zusammen mit Scheik Abdel Karim Obeid, einem anderen prominenten Hisbollah-Häftling, verbrachte Mustafa Dirani acht Jahre in Anlage 1391. Vor einem Jahr wurde er in das Gefängnis von Aschmoret in der Nähe von Natanja verlegt. In den ersten Monaten seiner Gefangenschaft, als die Israelis noch hofften, durch ihn Informationen über Arads Verbleib zu erlangen, wurde Dirani von einem hochrangigen Offizier der Armee, der nur unter den Namen „Major George“ bekannt ist, vernommen und gefoltert. Obwohl damals Folter in Israel gesetzlich erlaubt war, hat Dirani inzwischen gegen den israelischen Staat und gegen Major George wegen zwei Fällen von sexuellem Missbrauch Klage erhoben. In dem einen Fall soll Major George einem Soldaten befohlen haben, Dirani zu vergewaltigen, im anderen Fall soll er selbst einen Stock in das Rektum Diranis eingeführt haben.

Soldaten, die in dem Gefängnis Dienst taten, haben die Aussagen Diranis durch eidesstattliche Erklärungen untermauert. T. N., einer der Vernehmungsoffiziere, sagte aus: „Ich weiß, dass es üblich war, mit der Einführung eines Stocks zu drohen. Es war tatsächlich vorgesehen, den Stock einzuführen, wenn der Betreffende nicht reden wollte.“ In einer Petition zugunsten von Major George, die 60 israelische Offiziere unterzeichneten, wird nicht bestritten, dass solche Praktiken angewandt wurden. Es wird lediglich beklagt, dass es unfair sei, George für die Anwendung von Methoden zu bestrafen, die in dem Gefängnis allgemein üblich waren. George selbst hat eingeräumt, es sei ganz normale Praxis gewesen, dass die Gefangenen während der Verhöre nackt waren.

Jihad Shuman, ein britischer Staatsbürger, dem Mitgliedschaft in der Hisbollah vorgeworfen wird, wurde nach seiner Verhaftung in Jerusalem im Januar 2001 drei Nächte lang in Anlage 1391 festgehalten. Er berichtet, Soldaten hätten ihn brutal geschlagen: „Sie nahmen mir die Augenbinde ab. Um mich herum sah ich 15 bewaffnete Soldaten, einige mit Keulen in der Hand. Ein paar von ihnen haben mich verprügelt, gestoßen und von hinten geschlagen.“ Kurz darauf wurde er von einem Mann in Uniform verhört, der ihm eröffnete: „Du musst gestehen, oder du bist erledigt. Und niemand wird erfahren, was mit dir passiert ist. Geständnis oder Tod.“ Wie solche Praktiken den emotionalen und psychischen Zustand der Häftlinge beeinflussen, kann man sich leicht vorstellen.

Bei Gassan Dirani, einem Verwandten von Mustafa, der mit diesem zusammen festgenommen wurde und eine Zeit lang ebenfalls in der Anlage 1391 einsaß, hat sich später eine katatonische Schizophrenie entwickelt.

Die israelische Regierung hat zwar mittlerweile gegenüber den Gerichten bestätigt, dass Anlage 1391 ein Geheimgefängnis ist, doch nach den Dokumenten, die die Ha’Moked-Vertreter mittlerweile vorgelegt haben, ist völlig unklar, ob es das einzige ist. Einige der Dokumente, die die israelische Armee Ha’Moked zur Verfügung gestellt hat, beziehen sich auf den 35-jährigen Mussa Azzain – einen Aktivisten der Hisbollah, der im August 1992 in das berüchtigte Gefängnis von Chiam im Südlibanon eingeliefert worden war. Nach offizieller israelischer Auskunft wurde er später in eine „Anlage Barak“ in Israel verlegt; laut Ha’Moked ist dies ein weiteres Geheimgefängnis.

Azzain selbst berichtet, er sei in ein geheimes Gefängnis gebracht worden, das von den Insassen „Sarafend“ genannt wurde. Dieser Name taucht in den Berichten libanesischer Gefangener immer wieder auf. Er ist der englische Name einer Armeebasis in einem Außenbezirk von Tel Aviv, die heute hebräisch Tsrifin heißt.

Bevor die israelische Regierung ihre Informationssperre verhängte, bezeichnete man Anlage 1391 gelegentlich auch nach dem benachbarten Kibbuz, der jedoch weder Barak noch Sarafend heißt. Deshalb vermutet Ha’Moked, dass es sich bei dem Gefängnis, in dem Azzain einsaß, nicht um Anlage 1391 gehandelt hat. Zudem wurde Azzain immer nach Haifa im Norden gebracht, um seinen Anwalt zu sehen. Dirani und Obeid hingegen, die beide in Anlage 1391 einsaßen, wurden zu solchen Anlässen immer nach Tel Aviv gefahren.

Überdies haben mehrere Häftlinge ausgesagt, dass sie von ihrem Gefängnis aus die Meeresbrandung hören konnten. Anlage 1391 liegt aber in einiger Entfernung von der Küste. Andere haben startende Flugzeuge gehört oder das Knattern von Gewehrsalven, was womöglich auf ein Übungsgelände der Armee hinweist. Da in ganz Israel noch an die 70 solcher festungsartiger Polizeistationen aus der britischen Mandatszeit existieren, könnten auch mehrere von ihnen als geheime Gefängnisse genutzt werden, ohne dass man Verdacht schöpfen würde.

Es heißt, auch der alte Polizeiposten in Gedera südlich von Tel Aviv habe bis in die 1970er-Jahre hinein als Geheimgefängnis gedient, bevor der Komplex in dieser Funktion durch die Anlage 1391 abgelöst wurde. Möglicherweise hat es noch andere derartige Orte gegeben.

Nach Aussage eines ehemaligen Mitarbeiters des Internationalen Roten Kreuzes (IRK), der während der ersten Intifada zwischen 1987 und 1993 die Aufgabe hatte, verschwundene Gefangene aufzuspüren, hatte Israel insgeheim palästinensische Gefangene in einem Flügel des Militärgefängnisses Farah bei Nablus inhaftiert.

Die Vorsitzende von Ha’Moked, Dalia Kerstein, hat den Verdacht, dass mehrere Geheimgefängnisse je nach Bedarf benutzt und dann wieder geschlossen werden. Daraus könnte man folgern, dass in den Hochzeiten der Besetzung des südlichen Libanon mehrere dieser Einrichtungen genutzt wurden und dass möglicherweise auch im letzten Jahr, als eine große Zahl von Palästinensern festgenommen wurde, mehrere stillgelegte Geheimgefängnisse wieder in Betrieb genommen wurden.

Dalia Kerstein befürchtet überdies, dass Israel diese Anlagen auch anderen Ländern andienen könnte. Dafür kommen für sie nach der Invasion der Alliierten im Irak vor allem die USA in Frage. Interessanterweise hat das IRK auf Anfrage bestätigt, dass es im Camp X-Ray keine irakischen Gefangenen gibt. Und bei dem Chaos, das derzeit im Irak herrscht, dürfte niemand so recht wissen, welche Leute im Einzelnen verhaftet wurden und wo sie gefangen gehalten werden.

Aus diplomatischen Quellen verlautet, es spreche einiges dafür, dass irakische Gefangene von den US-Sicherheitskräften auf jordanischem Boden verhört werden. Damit wären sie auch der Aufsicht des IRK entzogen. Ägypten, Marokko und Pakistan leisten den USA womöglich eine ähnliche Hilfestellung.

„Es wäre ziemlich erstaunlich“, überlegt Dalia Kerstein, „wenn Israel, der loyalste Verbündete der Vereinigten Staaten, der erwiesenermaßen mindestens ein Geheimgefängnis unterhält, den Amerikanern nicht auch seine Dienste angeboten hätte. Schließlich verfügt Israel über eine jahrzehntelange Erfahrung, was Folter- und Vernehmungspraktiken gegenüber arabischen Gefangenen betrifft. Und nach den Invasionen in Afghanistan und im Irak sind es genau diese Fähigkeiten, welche die Amerikaner brauchen.“

deutsch von Niels Kadritzke